Als ich gestern – aus Versehen, durch eine verrückte und spontane Idee – in die Stadt Ōme gestolpert bin, beschlich mich sofort ein seltsames Gefühl. Die Stadt selbst wirkt, als wäre die Zeit hier schon lange stehengeblieben. Definitiv stammt Ōme aus einer anderen Epoche, und während ich nachts durch ihre Straßen lief, fragte ich mich immer wieder: Aus welcher Zeit? War es eine ferne Vergangenheit oder doch die Zukunft? Die Formen, die Kunst, die in der Zeit eingefrorenen Momente, an denen ich vorbeikam, wurden mit jedem Schritt bizarrer. Auf eine wunderschöne und faszinierende Weise zog mich der Geist der Stadt immer tiefer in sie hinein – als würde ich einer unsichtbaren Katze folgen, die mir direkt vor den Füßen entlangläuft.
Und falls du noch nie von Ōme gehört hast, sei dir gesagt: Du kennst mit Sicherheit einen Teil ihrer Geschichte – egal, woher du kommst.
Doch zunächst einmal möchte ich dich willkommen heißen – am Bahnhof Ōme.


Nekomachi
Ganz ehrlich, ich war noch an keinem Ort in Japan, der diesen Namen mehr verdient hätte als Ōme. Die Katzeninsel Tashirojima lassen wir mal außen vor, schließlich heißt sie ja schon Katzeninsel. Doch Ōme trägt den Titel Katzenstadt (Nekomachi), und das völlig zurecht. Natürlich gibt es in Japan viele weitere Orte, die sich den Katzen widmen, und in einigen leben auch tatsächlich bemerkenswert viele von ihnen.
Die Miau-Miau-Ecke
Und ja, das habe ich mir jetzt nicht ausgedacht – diese Ecke gibt es wirklich. Nyanya Magari Cat Alley, so heißt die versteckte Straße mitten in Ōme, einer Stadt, die sich selbst als Retro-Katzenstadt bezeichnet. Hier vereint sich die Katzenkunst lokaler Künstler in einer charmanten kleinen Gasse (die leider aktuell, Stand Feb. 2025, eine Baustelle ist).
Obwohl sie sich in der Nähe des JR-Bahnhofs Ōme befindet, ist sie in einer versteckten Ecke eines Wohnviertels zu finden – nicht auf den ersten Blick sichtbar. Ich möchte dir den Zauber nicht nehmen, den stillen Rufen der Katzen zu folgen, und verrate dir deshalb nicht den genauen Weg.
Die Retro-Plakate
Schon am Bahnhof von Ōme fällt eines auf: Entweder ist man gerade nicht aus einem Zug, sondern aus einer Zeitreisemaschine gestiegen – oder die Zeit ist hier einfach stehengeblieben. Und zwar in den 50er- und 60er-Jahren.
Überall sieht man unzählige handgemalte Film- und Werbeplakate, die genau im Stil dieser Jahrzehnte gestaltet sind. Und nicht selten zeigen sie – genau – Katzen. Oder zumindest Menschen und andere Wesen mit einem Katzenkopf. In Ōme dreht sich wirklich alles um Katzen. Und ich meine wirklich alles.


Doch bleiben wir erst einmal bei den Plakaten. Die Tradition der handgemalten Filmplakate in Ōme geht auf den Künstler Kubo Bankan zurück. In den 1950er-Jahren begann er, Filmplakate für das Ome Daiei-Kino zu malen. Später wurde er der exklusive Plakatmaler für die Kinos Ome Kinema und Ome Central. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere schuf Kubo ein Plakat pro Tag – sagt man. Doch mit dem Aufkommen des Fernsehens in den 1970er-Jahren ging die Filmindustrie zurück – und alle drei Kinos in Ōme mussten schließen.




Die handgemalten Retro-Filmplakate sind heute nicht nur eine Attraktion für Besucher, die etwas Besonderes abseits der überfüllten Touristen-Hotspots suchen, sondern auch ein wichtiger Teil der kulturellen Identität und Geschichte der Stadt. Sie repräsentieren eine einzigartige Kunstform und erinnern an die goldene Ära des japanischen Kinos.

Wenn du genau hinschaust und vielleicht sogar die japanische Schrift lesen kannst (alternativ kannst du auch Live-Übersetzungs-Apps benutzen), wirst du ein verspieltes Detail auf manchen Plakaten entdecken!
Japanische Wortspiele
Da gibt es zum Beispiel „Das Schweigen der Katzen“ (Das Schweigen der Lämmer) mit Nyaddy Foster, und auch Nyarilin Monroe oder den Ghibli-Anime-Klassiker Nyausika (Nausicaä) kann man finden. Du merkst es schon: All das sind Anspielungen auf Filmtitel oder die Namen von Schauspielerinnen und Schauspielern. „Nyan“ ist übrigens der japanische Laut für „Miau“. Ich denke, jeder kennt die berühmte Nyan-Cat. Aber es bleibt nicht nur bei den Wortspielen – auch die Filmplakate sind natürlich leicht verändert, und irgendwie haben sich viele Katzen darauf eingeschlichen.



Ōme
Während ich – zugegeben, mitten in der Nacht – durch Ōme schlenderte, vorbei an geschlossenen Geschäften und stets von einer Handvoll Katzen begleitet, zog mich die Stadt immer tiefer in ihren Bann. Eine leichte Gänsehaut kroch über meine Arme, und hier und da meinte ich, in der Ferne Schatten zu sehen.
Es war keine Angst, aber ein mir unbekanntes Gefühl machte sich in mir breit – und wurde von nun an zu meinem Begleiter. Als würde die Stadt selbst zu mir flüstern, mich auffordern, ihre Geheimnisse zu entdecken.
Die Verbindung zwischen den Katzen und der bizarren Kunst scheint tief in der nostalgischen Atmosphäre von Ōme verwurzelt zu sein. Genau diese Atmosphäre war es, die mir eine Gänsehaut bescherte und dieses seltsame, neue Gefühl in mir auslöste.




Natürlich muss jeder selbst entscheiden, wann er einen Ort besucht. Doch für den ersten Eindruck kann ich Ōme definitiv nachts oder am frühen Abend eines Sonntags empfehlen. Wenn man fast allein durch die menschenleere Stadt wandert und die Stille – die nur von einem leisen Miauen durchbrochen wird – in sich aufsaugt.
Da beißt sich die Katze in den Schwanz
Oder anders gesagt: Der Kreis schließt sich. Am Anfang habe ich dir versichert, dass selbst, wenn du noch nie von Ōme gehört hast – und selbst einige Japaner sagten mir, sie hätten diese Stadt noch nie besucht –, du dennoch einen Teil ihrer Geschichte kennst. Ich möchte gar nicht zu sehr in der Vergangenheit versinken, also bleibe ich bei einer Legende.
Und zwar der Legende der Maneki-neko (Na, schon einen Aha-Moment gehabt?). Sie besagt, dass im 17. Jahrhundert ein armer Mönch des Gotoku-ji-Tempels in Ōme eine streunende Katze aufnahm und sie trotz seiner begrenzten Mittel fütterte. Eines Tages sah ein wohlhabender Samurai die Katze vor dem Tempel sitzen – und mit ihrer Pfote winken. Neugierig näherte er sich, als plötzlich ein Blitz in einen Baum direkt neben ihm einschlug. Der Samurai war überzeugt, dass die winkende Katze (jetzt dämmert’s, oder?) ihn gerettet hatte.
Aus Dankbarkeit wurde er ein Gönner des Tempels und half, ihn zu einem wohlhabenden Ort zu machen. Seitdem gilt die Maneki-neko als Symbol für Glück und Wohlstand.
Und damit sind wir am Ende der Legende und wieder in der Realität. Oder anders gesagt:
Die Rede ist natürlich von der heute überall auf der Welt bekannten Winkekatze 🐈⬛👋
Ach, noch etwas
Wenn du auf das wirklich unübersehbare Torii achtest und dich dann die wenigen Stufen hinaufkämpfst – es lohnt sich wirklich –, wirst du etwas entdecken, das äußerst selten ist. Und damit meine ich nicht die drei Shintō-Schreine, die sich am Ende der himmelwärts führenden Treppe zu verstecken scheinen, verborgen zwischen den Bäumen.
Natürlich wirst du Katzen finden – aber ganz besondere. Denn hier begegnen dir Statuen von Glücksgöttern – und zwar in der Gestalt süßer Katzen.
Es ist eher unüblich, Gottheiten auf diese Weise darzustellen, doch genau das macht diesen Ort so einzigartig.



Du hast so eine einfangende Art Geschichten zu erzählen.
Genauso liebe ich wenn mich jemand neugierig macht auf mehr. Die Winke Katze kenn ich gut 👍 ich h am mich schon sehr oft gefragt was für eine Bedeutung sie haben mag .
Danke für deine Magische Geschichte 🌸🙏🌸