Wenn Japan ein Mensch wäre
Wenn Japan ein Mensch wäre

Wenn Japan ein Mensch wäre

Lesedauer 6 Minuten

Dann würde ich diesem Menschen etwas sagen wollen.

Danke, dass ich bei dir sein darf. Danke, dass du mich so nimmst, wie ich bin – mit all meinen Ecken und Kanten, mit all meinen Träumen und Unsicherheiten. Du hältst mir keinen Spiegel vor, du verlangst nichts von mir, außer dass ich einfach bin. Und während ich an deiner Seite durch diese Welt gehe, öffnest du mir Türen, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren.

Du bist wunderschön, voller Leben und doch so sanft. Du lachst jeden Tag – nicht laut, nicht aufdringlich, sondern auf eine Weise, die die Welt erhellt, ohne sie zu stören. Deine Stille spricht, dein Atem trägt Geschichten, deine Hände formen die Zeit. Selten habe ich jemanden getroffen, der so tief in sich ruht und doch so lebendig ist, so voller Gegensätze, die nicht widersprüchlich, sondern vollkommen harmonisch sind.

Jeden Tag sehe ich dich wachsen, dich verändern, dich neu erfinden. Du bist nicht statisch, du bist nicht festgelegt – du bist Bewegung, du bist ein ewiger Tanz zwischen Tradition und Moderne, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Es fasziniert mich, dir dabei zuzusehen.

Und du hast mir sofort vertraut. Kaum war ich da, hast du mich mit offenen Armen empfangen. Du hast mich nicht geprüft, nicht hinterfragt, sondern mich angenommen, als wäre ich schon immer ein Teil deines Lebens gewesen. Du hast mir deine Freunde vorgestellt, hast mir gezeigt, mit wem du lachst, mit wem du weinst, wer dich begleitet, wer dich trägt. Und mit jeder neuen Begegnung, mit jedem Namen, den du mir nennst, wächst mein Gefühl der Zugehörigkeit, wächst das Band, das uns verbindet.

Jeden Tag zeigst du mir ein neues Lieblingsessen von dir. Du führst mich an kleine Garküchen in versteckten Gassen, an Restaurants, die auf den ersten Blick unscheinbar wirken, doch deren Aromen eine ganze Geschichte erzählen. Mit leuchtenden Augen setzt du mir Schalen vor – dampfende Ramen, kunstvoll belegte Sushi, süße Wagashi – und wartest gespannt, bis ich den ersten Bissen nehme. Und ich? Ich verliebe mich jedes Mal aufs Neue in deinen Geschmack, in die Liebe, die du in jedes deiner Gerichte legst.

Aber du gibst dich nicht nur mit der Kulinarik zufrieden. Jeden Tag nimmst du mich an einen neuen Ort. Einen Ort, den du längst kennst, den du vielleicht schon tausendmal gesehen hast – und doch lässt du mich ihn in aller Ruhe erkunden, als wäre er auch für dich neu. Du drängst nicht, du erklärst nicht sofort, du wartest. Lässt mich die Luft einatmen, die Farben auf mich wirken, das Pflaster unter meinen Füßen spüren. Du bist nicht ungeduldig, nicht belehrend – du genießt es, mich staunen zu sehen.

Und in all dem, was du mir gibst, schenkst du mir eines ganz besonders: Musik.

Du bist ein Land des Klangs, ein Land, das in Melodien spricht. Egal, ob es das sanfte Koto-Spiel in einem alten Tempel ist oder die schnellen Rhythmen, die zwischen den Neonlichtern von Shibuya dröhnen, wo J-Pop aus den Lautsprechern der Geschäfte dringt. In den versteckten Jazz-Bars, wo verrauchte Stimmen von vergangenen Nächten erzählen. In den Konzertsälen, in denen Rock, Metal und orchestrale Klänge zu einem Sturm verschmelzen. Und du kennst meinen Geschmack. Du spielst mir die Lieder vor, die du liebst, stellst mir Künstler vor, die dich bewegen. Du flüsterst mir Namen wie YOASOBI, ReoNa, こはならむ und BABYMETAL zu und wartest, ob ihre Stimmen mich genauso berühren wie dich. Und wenn die ersten Töne erklingen, wenn sich Worte mit Melodien verweben, dann verstehe ich dich noch ein Stück mehr. Denn du sprichst mit mir durch Musik, mal fröhlich, mal melancholisch, aber immer ehrlich, immer tief. Es gibt Momente, in denen du mich einfach an eine Straßenecke führst, ohne ein Wort zu sagen. Und dann – da ist sie. Eine Straßenmusikerin mit geschlossenen Augen, ein Sänger, der seine Seele in jedes Wort legt. Und während die Stadt um uns herum pulsiert, während Autos vorbeiziehen, während Menschen geschäftig durch die Straßen eilen, stehen wir einfach da – nur du und ich, lauschend, atmend, lebend.

Ich kann dir gar nicht oft genug danken für all die Momente, die du mir geschenkt hast. Dafür, dass du mir gezeigt hast, was es bedeutet, wirklich zu leben – nicht nur zu existieren, sondern mit jeder Faser meines Seins den Augenblick zu spüren. Dafür, dass du mich gelehrt hast, was wahre Freude ist, was es bedeutet, wenn Tränen nicht aus Schmerz, sondern aus tiefster, reiner Glückseligkeit fließen.

Danke, dass du mir gezeigt hast, wie wertvoll der Moment ist, wie wichtig es ist, ihn nicht zu jagen, sondern ihn zu umarmen, ihn geschehen zu lassen. Du hast mir beigebracht, einfach zu sein. Ohne Maske, ohne Statussymbole, ohne den Druck, jemand Besonderes sein zu müssen. Und doch hast du mich verändert, hast mir Mut gemacht, mehr zu wollen – nicht für andere, nicht für ein Bild, sondern für mich selbst. Du hast mich gelehrt, zu kämpfen, Ziele zu verfolgen und Opfer zu bringen, die in Wirklichkeit keine waren, sondern bloß Illusionen, an denen ich einst festhielt. Und du erinnerst mich jeden Tag daran, dass diese Welt voller Wunder ist – dass ein einziger Atemzug reichen kann, um sie zu spüren. Dass ein einziges Lächeln nicht nur den Moment, sondern ein ganzes Leben verändern kann.Wenn ich mit dir durch die Nacht streife, wenn die Lichter der Stadt in der Dunkelheit glitzern wie Sterne, dann schenkst du mir Stille. Du offenbarst mir eine Seite von dir, die nicht jeder sieht – eine Ruhe, die nicht Einsamkeit ist, sondern Geborgenheit. Nur wir beide, umhüllt von der nächtlichen Brise, während die Welt für einen Moment den Atem anhält. Und in diesen Augenblicken verstehe ich, was es bedeutet, wirklich mit sich selbst allein zu sein – und im Reinen.

Du hörst mir zu. Du nimmst meine Gedanken – und seien sie noch so wirr –, ordnest meinen Geist, ohne ein einziges Wort zu sagen. Du bist da, immer, ohne Forderung, ohne Erwartungen. Und wenn der Morgen kommt, wenn die Sonne langsam am Horizont emporsteigt, dann nimmst du mich in den Arm, als würdest du mir leise zuflüstern: Guten Morgen, die Welt wartet auf dich.

Du hast mein Leben entschleunigt. Alles, was nicht in mein Leben passte, hast du hinausgetragen. All die Last, all die Rastlosigkeit, die mich jahrelang begleitet hat, hast du sanft von meinen Schultern genommen. Und aus dem grauen, tristen Bild, an dem ich so viele Jahre gemalt habe, hast du im Nu ein farbenfrohes, lebendiges Porträt gezeichnet. Die Wärme, die du ausstrahlst, ist atemberaubend.

Du gibst nicht nur auf dich selbst Acht – du bist achtsam in allem, was du tust. Du besitzt eine tiefe Ehrfurcht vor der Natur, eine Sanftheit im Umgang mit allem, was dich umgibt. Und du hast mir gezeigt, wie wunderschön unberührte Landschaften sein können, wie mächtig ein einzelner Baum, wie beruhigend das sanfte Rauschen eines Flusses, wie heilig die Stille eines Tempels. Während andere nach großen Momenten fischen, in der Hoffnung, hinter jeder Abbiegung das nächste Abenteuer zu finden, hast du mir beigebracht, dass die wertvollsten Tage oft die sind, an denen scheinbar gar nichts passiert.

Ein Blick von dir, ein Blick von mir – und mein ganzer Tag verwandelt sich in einen unvergesslichen Augenblick. Du hast mir gezeigt, wie viel Kraft in mir steckt. Dass Grenzen nur existieren, um verschoben zu werden. Dass eine einzige Minute der Ruhe den ganzen Tag entschleunigen kann.

Natürlich wirst auch du älter. Die Zeit hinterlässt Spuren auf deiner Haut – feine Linien, tiefe Risse, Narben, die Geschichten erzählen. Hin und wieder wankst du, deine Erde bebt, als würde dein Herz für einen Moment stocken. Dein Himmel weint, schwere Tropfen fallen herab, als würdest du all den Kummer, den du in dir trägst, für einen Moment loslassen. Doch du stehst immer wieder auf. Unerschütterlich, mit der Weisheit der Jahrhunderte in deinen Wurzeln. Geduldig erträgst du die Stürme des Lebens, voller Würde trägst du deine Vergangenheit – standhaft und unbezwingbar, wie ein ewiger Wächter, der niemals fällt.

Du bist so unglaublich stark – so wunderschön.

Danke, dass es dich gibt und ich ein Teil deines Lebens sein darf.

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