Ein Wochenende zwischen dem Tamagawa-Fluss, einem Turm und einer bizarren Traumstadt – mein Streifzug durch Hamura, Tōkyō und Ōme.
Samstag
Seit ein paar Tagen nenne ich Hamura mein Zuhause – eine Stadt, die mir noch so viel zu erzählen hat. Ich ließ mir Zeit, begrüßte den Morgen mit einem Kaffee auf meiner Terrasse und spürte die sanfte Brise, die für Mitte Februar fast schon nach Sommer schmeckte. Die Nacht war mild geblieben, kaum kälter als elf Grad, und als die Sonne ihre ersten warmen Strahlen über die Stadt legte, fühlte sich der Tag vielversprechend an. Also zog ich los, ohne Ziel, nur mit Neugier im Gepäck.
Ich machte mich auf den Weg, schlenderte durch die Straßen, die mir noch fremd waren, und nutzte den Bahnhof Hamura nicht etwa für eine Zugfahrt, sondern als Brücke, um auf die andere Seite der Stadt zu gelangen. Dort, irgendwo in dieser unbekannten Gegend, wartete der Fluss, von dem ich wusste, dass er ein kleines Stück Natur inmitten des Stadtlebens versprach. Der Weg dorthin war eine Entdeckung für sich – gesäumt von kleinen, charmanten Häusern mit liebevoll gepflegten Vorgärten, schmalen Gassen, die Geschichten aus einer anderen Zeit erzählten, und hier und da einem versteckten Schrein, der zwischen modernen Gebäuden fast surreal wirkte. Die Sonne stand strahlend am Himmel, und ich genoss jeden Moment. Immer wieder holte ich mir einen Kaffee, ließ mich treiben, beobachtete die Menschen, die ihren Alltag lebten, während ich einfach nur da war und das Gefühl aufsog, in einer neuen Heimat anzukommen.



Nach einer knappen Stunde erreichte ich mein Ziel. Der Tamagawa-Fluss lag vor mir, sein Wasser so klar, dass ich bis auf den Grund blicken konnte. Das leise Rauschen der Strömung vermischte sich mit den Geräuschen der Stadt, doch hier am Ufer schien alles friedlicher. Ich setzte mich, ließ meine Gedanken mit dem Wasser treiben und genoss diesen einfachen, aber wertvollen Moment. Entlang des Flusses erstreckte sich ein kleiner Park, durchzogen von Wegen, die von kunstvollen Zäunen im Kirschblütendesign gesäumt wurden. Links und rechts reihten sich Kirschbäume aneinander, einige von ihnen bereits mit den ersten zarten Knospen. Der Frühling war nah, und dieser Ort lud zum Verweilen ein, doch ich hatte noch etwas vor.





Am Abend sollte der Tōkyō Tower in einem besonderen Licht erstrahlen – zur Feier einer politischen Beziehung zwischen Südkorea und Japan würde der Turm in den Farben der südkoreanischen Flagge leuchten. Gegen 18 Uhr stand ich also vor ihm, und als das Licht wechselte, tauchte er in ein intensives Blau, Rot und Weiß. Die Namen beider Länder leuchteten in weißen Buchstaben am Turm auf. Ich liebe den Tōkyō Tower – auch wenn der Skytree für mich unangefochten auf Platz eins steht, hat dieser Turm eine ganz eigene Magie.
Durch einen glücklichen Zufall entdeckte ich etwas, das mir zuvor nie aufgefallen war: STAIRS600, eine Möglichkeit, den Tōkyō Tower nicht mit dem Fahrstuhl, sondern über eine Treppe zu erklimmen. 600 Stufen, die sich außen entlang des Turms winden, mit einem atemberaubenden Blick auf die Stadt. Wer es schafft, den Turm zu Fuß zu erklimmen, erhält sogar ein Zertifikat als Belohnung. Natürlich ließ ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen. Die Aussicht von hier war nicht nur spektakulär, sondern auch ein ganz anderes Erlebnis als von der Aussichtsplattform aus. Hier oben spürte man, wie der Turm sich leicht im Wind bewegte, und es war ein unglaubliches Gefühl, hoch über der Stadt zu stehen und den Moment in seiner ganzen Intensität zu spüren. Nach insgesamt 13 gelaufenen Kilometern, zahlreichen Fotos und einem letzten Blick auf das funkelnde Lichtermeer Tōkyōs machte ich mich schließlich auf den Heimweg. Noch fünf Kilometer zu Fuß, dann endete dieser Tag – voller Erlebnisse, voller Glück.








Sonntag
Am Sonntag begann der Tag, wie ich es liebe: ruhig und mit einem heißen Kaffee auf meiner Terrasse. Die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen, doch ihr goldenes Licht fiel bereits durch die Fenster meines Hauses und tauchte alles in eine warme, beruhigende Atmosphäre. Ich wollte mir eine der Sehenswürdigkeiten meiner neuen Heimatstadt ansehen – den Hamura Zoo, der mittlerweile in Hintonton Zoo umbenannt wurde. Leider wurde dieser Besuch nicht das Erlebnis, das ich mir erhofft hatte. Der Zoo war alt, ungepflegt, und viele Tiere wirkten krank. Sie liefen unruhig auf und ab, einige saßen verängstigt in einer Ecke ihrer Gehege. Man konnte deutlich sehen, dass sie unter der sogenannten Zwingerkrankheit litten. Trotzdem schienen die anderen Besucher – vor allem Familien mit kleinen Kindern – das nicht wahrzunehmen oder es einfach zu ignorieren. Ich hielt es nicht lange aus und verließ den Zoo nach nur einer halben Stunde.
Um wieder einen schönen Moment zu erleben, lief ich zu einem nahegelegenen Park. Dort blühten bereits einige Kirschbäume, und das zarte Rosa ihrer Blüten tanzte in der warmen Brise. Ich holte mir etwas zu essen aus einem Konbini und setzte mich unter einen der Bäume. Ich genoss den Anblick, während der Wind sanft durch die Zweige fuhr und vereinzelt Blütenblätter zu Boden segeln ließ. Obwohl ich noch nicht viel an diesem Tag getan hatte, spürte ich plötzlich eine tiefe Ruhe in mir. Ich wollte nach Hause, einfach nur für einen Moment in der stillen Atmosphäre meines Hauses sein, dem Wind lauschen, der durch die offenen Fenster zog, und das warme Sonnenlicht, das durch die Fenster drang auf meiner Haut spüren.








Und natürlich bin ich eingeschlafen 🌸
Aber als ich aufwachte, hatte ich eine spontane Idee. Ich lief zurück zum Bahnhof Hamura, nahm einen Zug Richtung Ōme, aber nicht einfach um dort anzukommen. Ich stieg an jeder Station aus, erkundete den Ort und machte unzählige Fotos. Ich trank in jeder Stadt einen Kaffee und fuhr dann weiter. Mit jeder Station und jeder Stunde die der Tag sich langsam der Nacht zugewandt hatte, wurde die Umgebung ruhiger, die Straßen leerer, der Himmel dunkler.
Schließlich erreichte ich die Endstation: Ōme. Ich hatte noch nie von diesem Ort gehört, doch als ich aus dem Bahnhof trat, fühlte es sich an, als wäre ich in eine andere Welt gestolpert. Riesige Katzenstatuen, winzige Katzen versteckten sich neben Getränkeautomaten, Telefonzellen in seltsamen Formen und Farben, die nicht ins Stadtbild passten – und doch gab es keinen besseren Ort. Es war, als wäre ich in einer Mischung aus Vergangenheit und Zukunft gelandet. Diese Stadt stammt definitiv aus einer anderen Zeit ich weiß nur nicht ob aus der Vergangenheit oder der Zukunft. Ich lief durch die Straßen, und mit jedem Schritt wurde die Stadt surrealer, die Formen bizarrer.
Plötzlich stand ich vor einem gewaltigen Schrein. Der Weg bis zu den Stufen, die hinauf zu ihm führten – zu einem Ort, der fast im Himmel zu liegen schien – wurde von drei riesigen Torii gesäumt. Obwohl mich die Neugier fast hinauftrieb, entschied ich mich dagegen, die unzähligen Stufen an diesem Abend zu erklimmen. Nach bereits 14 gelaufenen Kilometern war ich zwar nicht völlig erschöpft, doch für eine solch lange Treppe fehlte mir die Kraft. Also setzte ich meinen Weg fort und entdeckte weitere kuriose Dinge: Häuser, die wie Katzen aussahen, kleine Wartehäuschen, die wirkten, als wären sie direkt aus einem Ghibli-Anime in diese Stadt gefallen, und gemütliche Cafés mit blumengeschmückten Eingängen, die jedoch leider bereits geschlossen hatten. Es fühlte sich an, als würde ich durch eine Filmkulisse laufen. Die heruntergelassenen Rolltore und einige Hausfassaden waren mit seltsamen Bildern verziert – Illustrationen, die wie Überreste einer fernen Vergangenheit wirkten. Auch der Bahnhof selbst schien, als wäre die Zeit dort vor Jahrzehnten stehen geblieben. Die ganze Zeit über hatte ich eine Gänsehaut, doch nicht aus Angst – vielmehr war es, als wäre die Stadt lebendig, als würde sie mich mit jeder Straße, jedem verwitterten Bild, jeder Statue tiefer in ihre eigene kleine Welt ziehen. Überall, wohin ich blickte, beobachteten mich Katzen – aus Kunstwerken, von Mauern, in Form von Statuen. Es war, als würden sie mir zuflüstern, als wollten sie mir die Geheimnisse dieses Ortes erzählen. Alles an dieser Stadt zog mich tiefer hinein, weiter in ihre verwunschene, wundersame Atmosphäre.













Und dann hob ich meinen Blick. Über mir funkelten Millionen Sterne, klarer als ich sie jemals zuvor gesehen hatte. Vor mir erstreckte sich eine Stadt, deren Lichter sich den Berghang hinaufzogen, und ich wusste nicht, ob dort wirklich ein Berg lag oder ob es eine Illusion war. Gänsehaut breitete sich jetzt auf meiner ganzen Haut aus.
Ōme ist eine Stadt, die ihre Geheimnisse nur jenen offenbart, die bereit sind, sie zu entdecken. Und ich bin bereit.
Ein Wochenende voller Wunder
Von der Stille des Flusses bis zum Leuchten des Tōkyō Towers. Vom traurigen Zoo bis zur magischen Stadt Ōme. Dieses Wochenende hat mir gezeigt, dass Japan mich immer wieder überraschen kann – in den großen Momenten, aber auch in den kleinen, in jenen, die man nicht plant, sondern einfach geschehen lässt.
Und genau diese Momente sind es, die das Leben in Japan so besonders machen.
Ich werde zurückkehren. Am Tag, um zu sehen, ob Ōme in der Sonne genauso magisch ist wie in der Nacht.
Du nimmst uns mit auf deine Reise…das ist so toll …ich Danke dir dafür 💓