Chōchin – 提灯 – Japans Laternen
Chōchin – 提灯 – Japans Laternen

Chōchin – 提灯 – Japans Laternen

Lesedauer 8 Minuten

In Japan begegnet man ihnen fast überall: an Tempeln und Schreinen, vor und in Geschäften, und besonders vor Bars, Kneipen und Restaurants, aber auch einfach als Teil des Stadtbildes. Die Rede ist von Chōchin (提灯) – den meist roten Papierlaternen, auf denen alles Mögliche geschrieben steht. Besonders während der Regenzeit sieht man diese Laternen, traditionell aus Seide oder Washi-Papier gefertigt und mit einem Gerüst aus dünnen Bambusreifen versehen, liebevoll in transparentes Plastik gehüllt, um sie vor Nässe zu schützen.

Das Washi (和紙), auch Wagami genannt, ist ein traditionell handgeschöpftes, lichtdurchlässiges Papier. Oft als „Reispapier“ bezeichnet, hat es jedoch nichts mit Reis zu tun. Stattdessen wird es aus Bastfasern hergestellt, beispielsweise von der Gampi-Pflanze (雁皮), die auch als Papierbaum bekannt ist.

Bedeutung

Lass uns die Kanji mal auseinandernehmen: Chōchin setzt sich aus den beiden Kanji Chō (提) und Chin (提) zusammen.

Chō (提) bedeutet „tragen“ oder in diesem Kontext „mit der Hand tragen“ und Chin (提) bedeutet „Licht“ oder „Laterne“. Das lässt zumindest vermuten, dass eine Chōchin ursprünglich dafür gedacht war, sie mit der Hand zu tragen, um in dunklen Räumen oder nachts besser sehen zu können.

Du ahnst es schon

Wir reisen mal wieder in die Vergangenheit – ins Japan des Jahres 1300, genauer gesagt in die Muromachi-Zeit. Damals gelangten die ersten Laternen, noch ganz anders aussehend als heute, aus China nach Japan. Sehr wahrscheinlich kamen die Laternen zusammen mit dem Buddhismus nach Japan.

Diese frühen Chōchin bestanden bereits aus denselben Materialien wie heute, wiesen jedoch deutliche Unterschiede auf. Anfangs waren sie rechteckige Bambuskästen, bespannt mit japanischem Papier. Erst später entstand in Japan durch stetige Verbesserungen und Anpassungen, die heute bekannte, ovale Ballonform. Die meisten Chōchin lassen sich zusammenfalten, was sie besonders leicht und platzsparend macht.

Wie so oft bei historischen Objekten lässt sich das genaue Ursprungsdatum nicht bestimmen. Die erste Erwähnung einer Chōchin soll jedoch im Chōya-gunzai (朝野群載) erfolgt sein. Das Chōya-gunzai ist ein historisch bedeutsames Werk der japanischen Literatur und Verwaltungsgeschichte aus der Heian-Zeit (794–1185). Es handelt sich dabei um eine umfangreiche Sammlung von Dokumenten, Dekreten, Erlassen und administrativen Texten, die einen Einblick in die politische, soziale und kulturelle Struktur der damaligen Zeit geben.

Weitere Informationen zum Chōya-gunzai, findest du am Ende des Beitrags

Im Jahr 1536 soll erstmals eine Zeichnung einer Chōchin auf einer Emaki (絵巻物, Emakimono) aufgetaucht sein. Eine Emakimono oder kurz Emaki, ist eine illustrierte Textrolle – die größte bekannte Emaki ist knapp 20 Meter lang. Diese falt- oder wickelbaren Bild- und Textrollen, waren bis zur Einführung von Heften und Büchern in der Meji-Zeit, ein geläufiges Medium um Informationen zu verbreiten und geschichtliche Ereignisse festzuhalten.

Wofür Chōchin ursprünglich genutzt wurden, ist nicht vollständig geklärt. Vermutlich wurden sie bei zeremoniellen Anlässen der Oberschicht verwendet und als Dekoration buddhistischer Altäre, wie es auf der Emaki dargestellt ist. Andere Zeichnungen zeigen Reisende, die Chōchin an Bambusstöcken befestigt hatten, um ihre nächtlichen Wege zu erleuchten.

Es werde Licht

Wie alle Güter waren auch Kerzen früher sehr teuer und nicht für jeden erschwinglich. Erst seit dem Ende der Edo-Zeit, als die Massenproduktion von Kerzen möglich wurde, boomten die Chōchin in Japan und verbreiteten sich rasch im ganzen Land – eine regelrechte Chōchin-Kultur entstand. Auch wenn heutzutage batteriebetriebene LEDs oder Glühbirnen die Chōchin von innen erhellen, übernahmen diese Aufgabe früher ausschließlich Kerzen – und selbst heute gibt es noch Chōchin, die traditionell mit Kerzen beleuchtet werden.

Vergangenheit & Gegenwart

Als die Chōchin-Kultur in ganz Japan aufblühte, dominierten zunächst vor allem weiße Laternen. Ein Geschäftsmann wollte sich jedoch von der Masse abheben und verwendete rote Laternen – mit großem Erfolg: Sein Geschäft florierte. Seitdem stehen rote Chōchin symbolisch für wirtschaftlichen Erfolg.

Heute dienen die roten Lampions hauptsächlich als Werbeträger, vor allem vor Izakayas (japanischen Bars) und Restaurants. In schwarzer Schrift sind darauf meist der Name der Lokalität und/oder die angebotenen Speisen und Getränke zu lesen. Die rote Farbe soll aber nicht nur Kunden anlocken, sondern angeblich auch den Appetit anregen – Hunger habe ich auf jeden Fall immer, wenn ich an einem duftenden Lokal vorbeiziehe. In der Regel signalisieren dir die roten Papierlaternen also: „Hier gibt es etwas zu essen und zu trinken.“

Weiße Chōchin hingegen werden heute oft an heiligen oder religiösen Orten aufgestellt und bei zeremoniellen Anlässen genutzt. Besonders während des Obon-Festes sieht man viele weiße Laternen. Sie werden verwendet, um den Seelen geliebter Verstorbener den Weg nach Hause zu weisen. Doch auch weiße Laternen dienen, wie die roten, als Werbeträger für Bars & Restaurants.

Ein Chōchin kann heute jedoch weit mehr sein als nur ein Werbeträger oder ein Bestandteil von Zeremonien. Häufig wird es auch als stilvolles, dekoratives Objekt genutzt – sei es in traditionellen Hotels und Restaurants, bei Hochzeiten im japanischen Stil oder sogar in der Wohnungseinrichtung.

Ein Farbenmeer

Chōchin sind längst nicht mehr nur rot oder weiß – heute gibt es sie in allen erdenklichen Farben. Besonders während der Sommerfeste sieht man viele bunte Laternen. An wichtigen Knotenpunkten einer Stadt werden sie oft mit den Namen der Menschen oder Firmen beschriftet, die das Fest ermöglicht oder gesponsert haben – eine farbenfrohe Geste des Dankes.

Asakusa

Sugoi-chan

Man spricht es wie Assak’ssa aus und nicht wie Asaahkuuhsa. Das „U“ kannst du einfach verschlucken und das „S“ sprichst du wie ein scharfes „ß“ aus 😇

Natürlich denkt man bei Asakusa sofort an das riesige rote Tor, die lange Einkaufsstraße dahinter und den berühmten Tempel am Ende dieser Straße. Das große rote Tor trägt den Namen Kaminarimon (雷門), was so viel wie „Donner-Tor“ bedeutet. Es ist das äußere der beiden Tore, die zum Sensō-ji (浅草寺) führen. Das innere Tor heißt Hōzōmon (宝蔵門) und bedeutet „Schatz-Tor“. Doch hier soll es nicht um die Tore gehen, sondern um die Chōchin – und die bekannteste Laterne Japans hängt am Donner-Tor.

Mit einer Höhe von 3,9 Metern, einer Breite von 3,3 Metern und einem Gewicht von 700 Kilogramm ist sie beeindruckend groß, aber nicht die schwerste Laterne. Am inneren Tor, dem Hōzōmon, befinden sich drei weitere Laternen. Die beiden äußeren sind aus Kupfer gefertigt und wiegen jeweils eine Tonne.

Die bekannteste Chōchin Japans wurde unzählige Male fotografiert und bestaunt – und auch ich habe natürlich ein Foto davon gemacht.

Geister

Geister – oder besser gesagt Yōkai (妖怪) – gehören untrennbar zur japanischen Kultur. Und selbstverständlich gibt es auch einen Papierlaternen-Geist.

Der Chōchin-obake ist ein fiktives Wesen des japanischen Volksglaubens und gehört zur Gruppe der Tsukumogami, also den sogenannten Artefakt-Geistern. Sein Erscheinungsbild ähnelt einer Chōchin, die an einem Bambusstock befestigt ist. Der Chōchin-obake hat ein oder zwei Augen sowie einen großen, offenstehenden Mund, aus dem seine Zunge herausragt. Manche Darstellungen zeigen ihn zudem mit einem einzelnen Fuß am Ende des Stocks, wodurch er hüpfend vorwärtskommt. Der ambivalente Charakter dieses Yōkai hängt davon ab, wie er als Gebrauchsgegenstand behandelt wurde: Pflegte man ihn gut, bleibt er ein treuer Begleiter und erhellt weiterhin die Nacht. Vernachlässigte oder missbrauchte man ihn hingegen, so hüpft der Yōkai davon und treibt sein Unwesen unter den Menschen.

Neben den Yōkai gibt es in Japan auch die Yūrei (幽霊) – stille Geister oder, treffender formuliert, verzweifelte Seelen. Yūrei wandern ruhelos umher, um ihre früheren Peiniger zu erschrecken, ohne jedoch ernsthaft Schaden anzurichten. Ihnen bleibt ein friedliches Leben nach dem Tod verwehrt, was verschiedene Gründe haben kann. Ein Selbstmord, zum Beispiel, kann eine Seele an diese Welt binden. Oft suchen solche Yūrei gezielt diejenigen heim, die sie in den Tod getrieben haben.

Zu den Yūrei gehört auch das Chōchin-bi (提灯火) – das „Laternenfeuer“. Dieser Geist wird als ballgroße, bläuliche Flamme beschrieben, die knapp über dem Boden zu schweben scheint. Man könnte sagen, ein Chōchin-bi ist ein kleines Irrlicht.

Feste

Japan feiert zahlreiche Laternenfeste, darunter das Tōrō Nagashi oder das Yamaguchi Tanabata Chōchin Matsuri, wobei bei diesen Festen nicht ausschließlich Chōchin-Papierlaternen im Mittelpunkt stehen. Stattdessen steht symbolisch das Licht der Laternen im Mittelpunkt, und es kommen die unterschiedlichsten Laternenarten zum Einsatz. Beim Tanabata-Laternenfest in Yamaguchi kannst du jedoch zahlreiche Chōchin in verschiedensten Farben und Formen bewundern, darunter auch den beeindruckenden Chōchin-Baum, der mit 800 Laternen geschmückt ist.

Übrigens

Es gibt auch den Chōchin-Kabuto, auch als Laternenhelm bekannt. Wenn du an einen alten japanischen Kriegsfilm denkst, hast du wahrscheinlich genau das richtige Bild vor Augen. Dieser spezielle Kabuto zeichnet sich dadurch aus, dass er zusammengeklappt oder -gefaltet werden konnte. Die Panzerringe des Helms sind durch Seidenbänder miteinander verbunden und können sich bewegen. Die Ringe werden von oben nach unten hin größer, sodass jeder Ring in den nächsten passt. Dadurch lässt sich der Helm für den Transport kompakt zusammenlegen und spart Platz im Gepäck des Kriegers.

Ich hoffe, dir ist nun ein Licht aufgegangen 😊

Erweiterte Informationen

Bei der Recherche zu meinen Blogbeiträgen nutze ich neben meinem eigenen Wissen auch die in Japan verfügbaren Informationen auf Infotafeln, Broschüren und in Büchern sowie viele verschiedene Websites, insbesondere die des japanischen Nationalarchivs.

Es gibt Themen, zu denen Informationen nur schwer zu finden sind. Wenn du etwa nach „Chōya-gunzai“ googelst, wirst du vermutlich nicht viel finden. Es scheint, als hätte dieses Thema keine große Relevanz für Suchmaschinen im europäischen Raum. Du kannst jedoch englischsprachige Informationen im Japanese Wiki Corpus und auf japanischen Websites wie der Kotobank oder im japanischen Nationalarchiv finden. Diese Quellen bieten tiefere Einblicke, auch wenn sie nicht immer auf den ersten Blick zugänglich sind.

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