Viele Menschen im Internet – und auch ich gehöre dazu – romantisieren Japan und das Leben in Japan regelrecht. Aber wie viel Wahrheit steckt wirklich hinter dieser „Romantisierung“? Ist es einfach nur eine rosarote Brille, durch die andere – und auch ich – täglich auf Japan blicken? Oder sieht die Realität vielleicht ganz anders aus? Blenden wir bewusst oder gar unbewusst die negativen Seiten Japans aus – oder gibt es sie einfach nicht?
Ich möchte versuchen, auf die fünf wichtigsten Lebensbereiche einzugehen, die mir fast täglich auf sozialen Plattformen und in unzähligen Kurzvideos begegnen. Oft wird darin behauptet, dass das Leben in Japan gar nicht so schön sei, wenn man wirklich hier lebt – oder genau das Gegenteil wird behauptet. Doch was stimmt denn nun?
Natürlich lebe ich erst seit ein paar Monaten hier, doch das bedeutet keineswegs, dass ich keine tiefgehenden Einblicke in japanischen Alltag habe. Ich habe Freunde, die bereits seit Jahren hier leben und mir immer wieder von ihren Erfahrungen berichten. Zudem beschäftige ich mich schon jahrelange mit meinem Traumland, habe unzählige Bücher und Artikel verschlungen und mein Wissen mit intensiver Recherche vertieft. Neben meinem eigenen Wissen, das sich über die Jahre angesammelt hat, habe ich natürlich auch nach bestem Wissen und Gewissen für diesen Beitrag recherchiert. Die verwendeten Quellen findest du wie immer am Ende des Beitrags.
Um die Unterschiede greifbarer zu machen und weil ich nun mal eben aus Deutschland komme, nehme ich Deutschland als Vergleichspunkt.
Wie sicher ist Japan?
Japan gilt als eines der sichersten Länder der Welt, und das ist nicht nur ein Klischee. Die Kriminalitätsraten – insbesondere für Gewaltdelikte – sind sehr niedrig. Zum Beispiel lag die Mordrate in Japan 2017 bei nur etwa 0,2 pro 100.000 Einwohner, während sie in Deutschland bei ca. 1,0 lag. Im Jahr 2022 lag die japanische Mordrate bei 0,23 pro 100.000 Einwohner und in Deutschland im Jahr 2023 bei 0,8 pro 100.000 Einwohner. Auch Raubüberfälle sind in Japan extrem selten: Rund 1,8 Fälle pro 100.000 Menschen stehen etwa 47 Fällen in Deutschland gegenüber. Solche Zahlen untermauern das Sicherheitsgefühl, das viele Menschen in Japan haben.
Alltagsbeobachtungen bestätigen diese Statistik. Es ist üblich, dass verlorene Gegenstände (z.B. Geldbeutel oder Handys) bei einem Fundbüro oder der Polizei abgegeben werden und zum Besitzer zurückfinden. Viele Japaner – und auch Touristen – berichten, dass sie sich nachts auf der Straße sicher fühlen, selbst in großen Städten – ich selbst kann das nur bestätigen. Kinder gehen in Japan oft schon im Grundschulalter alleine zur Schule, was das Vertrauen in die Umgebung widerspiegelt. Im Vergleich zu Deutschland (das ebenfalls ein sicheres Land ist) ist Japan also noch einmal spürbar sicherer, besonders was Gewaltverbrechen betrifft.
Kein Land der Engel
Natürlich bedeutet „sehr sicher“ nicht komplett kriminalitätsfrei. Auch in Japan gibt es Delikte – so ist z.B. Taschendiebstahl in dichtem Gedränge oder Fahrraddiebstahl nicht gänzlich unbekannt. Zudem existieren organisierte Banden, wobei diese das Alltagsleben der meisten Bürger kaum berühren. Ein weitaus größeres und spezielles Problem sind sexuelle Belästigungen in vollen Zügen (sogenannte Chikan-Vorfälle), gegen die es z.B. Frauenabteile in der Metro und mittlerweile auch in regionalen Zügen gibt. Insgesamt jedoch ist das Ausmaß der Kriminalität deutlich geringer als in westlichen Ländern. Wer aus Deutschland nach Japan reist, wird den Unterschied merken: Man kann mit größerer Unbeschwertheit durch die Städte laufen, was zur romantischen Vorstellung von Japans Sicherheit durchaus passt – hier hält die Realität dem Ruf ganz klar stand.
Arbeitsleben
Das Bild des überarbeiteten japanischen “Salaryman” ist weltweit bekannt: lange Abende im Büro, kaum Urlaub, eventuell sogar Karōshi (Tod durch Überarbeitung) als Extrem. Wie viel Wahrheit steckt heute noch darin, und was hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert?
In der Tat war Japans Arbeitskultur historisch von sehr langen Arbeitszeiten geprägt. Bis in die 1990er Jahre und 2000er hinein waren 60-Stunden-Wochen und spärlich genutzte Urlaubstage keine Seltenheit. Unternehmen erwarteten absolute Loyalität und vollen Einsatz, oft in Form von täglichen Überstunden. Begriffe wie Karōshi entstanden, weil es Fälle gab, in denen Menschen buchstäblich an Überarbeitung starben – traurig aber wahr. Dieses Problem wurde zunehmend erkannt und in den vergangenen Jahrzehnten gab es große Bemühungen, gegenzusteuern.
Gesetzliche Reformen: 2019 trat eine Arbeitsreform in Kraft, die Überstunden begrenzte. Im Rahmen dieser Reform wurde eine Obergrenze von durchschnittlich 45 Überstunden pro Monat (max. 360 pro Jahr) eingeführt. Das Gesetz – eingeführt, um Karōshi zu verhindern – sieht sogar Strafen für Unternehmen vor, die sich nicht daran halten. Außerdem müssen Arbeitgeber ihre Mitarbeiter nun dazu zwingen, mindestens 5 Urlaubstage pro Jahr tatsächlich zu nehmen (sofern ihnen mehr als 10 zustehen). Diese Maßnahmen zeigen Wirkung: Die durchschnittliche Arbeitszeit pro Arbeitnehmer ist in den letzten Jahren leicht gesunken (2019 und 2020 gab es einen Rückgang der Monatsarbeitszeit um einige Stunden). Gleichzeitig ist der Anteil der genommenen Urlaubstage etwas gestiegen – von etwa 52% auf 56%. Das heißt die Arbeitnehmer nehmen nun über die Hälfte ihres Urlaubs im Schnitt, anstatt nur knapp die Hälfte.
Trotz solcher Reformen bleibt langes Arbeiten kulturell verankert. Viele Japaner fühlen sich noch immer verpflichtet, länger im Büro zu bleiben, solange der Chef oder Kollege noch arbeitet – selbst wenn die offizielle Arbeitszeit vorbei ist. Präsenz zeigt Einsatz. Diese Einstellung ändert sich langsam bei der jüngeren Generation, aber ältere Hierarchien geben sie oft weiter und leben sie auch. Im Vergleich zu Deutschland sind die Unterschiede deutlich: Gesetzlich haben Arbeitnehmer in Japan zwar etwa 10 bis 20 Urlaubstage (je nach Betriebszugehörigkeit) pro Jahr, aber genutzt werden traditionell viel weniger. Durchschnittlich standen einem japanischen Angestellten um 2015 etwa 18,5 Urlaubstage zu, von denen er aber nur ca. 9 Tage wirklich nahm.
In Deutschland sind hingegen mindestens 20 Urlaubstage (vier Wochen) gesetzlich vorgeschrieben (oft sind sogar ~30 Tage in vielen Firmen üblich), und ebenso ist es üblich, dass Arbeitnehmer den Großteil davon auch nehmen. Auch die Wochenarbeitszeit ist in Deutschland mit ca. 35–40 Stunden reguliert, Überstunden sind die Ausnahme und werden meist abgebaut oder bezahlt.
Die Work-Life-Balance in Japan verbessert sich zwar allmählich – etwa durch Initiativen wie der “Cool-Biz-Kampagne” (leichtere Kleidung im Hochsommer) und dem “Premium Friday” (früher Feierabend am letzten Freitag im Monat) – doch im Schnitt verbringen Japaner mehr Zeit bei der Arbeit als Deutsche. Gleichzeitig sinkt die Attraktivität dieser harten Arbeitskultur: Junge Japaner legen heute mehr Wert auf Freizeit und lehnen es eher ab, ihr Leben komplett der Firma zu widmen. Einige Unternehmen experimentieren mit flexibleren Arbeitszeiten und Home-Office (gerade nach Erfahrungen in der Corona-Pandemie). Die Realität in Japan liegt also zwischen Tradition und Wandel: Überstunden und kurze Urlaube sind noch vorhanden, aber auf dem Rückzug. Wer Japan romantisch als Land der unbegrenzten Disziplin und Aufopferung sieht, erlebt inzwischen auch eine Gesellschaft, die nach und nach die Balance zwischen Arbeit und Privatleben sucht. Darüber hinaus übernehmen viele japanische Unternehmen zunehmend westlich geprägte Strukturen und passen ihre Arbeitszeiten sowie Organisationsmodelle entsprechend an.
Das Schulsystem
Vorweg: Ja, es ist fast wie im Anime 😉
Das japanische Schulsystem hat einen ganz bestimmten Ruf: disziplinierte Schüler in Uniformen, strenge Lehrer, hervorragende Testergebnisse – aber auch hoher Leistungsdruck und lange Lernzeiten. Diese Vorstellung ist teilweise zutreffend, teilweise differenziert zu betrachten. Wie stark stehen japanische Schüler unter Druck, und welche Vor- und Nachteile hat das System im Vergleich zu Deutschland?
In Japan gibt es das geflügelte Wort juken jigoku – Prüfungshölle –, das den enormen Wettbewerb um Schul- und Unizugänge beschreibt. Tatsächlich entscheiden Aufnahmeprüfungen viel über den Bildungsweg: Am Ende der 9. Klasse stehen Prüfungen für die Aufnahme an bestimmten (besseren) Oberschulen an, und am Ende der Oberschule dann die berüchtigten Universitätsaufnahmeprüfungen. Diese Examen haben großes Gewicht – ein Platz an einer Top-Universität kann später Türen zu begehrten Jobs öffnen. Entsprechend hoch ist der Druck: Schon 15-jährige Mittelschüler bereiten sich auf Oberschul-Prüfungen vor. Man spricht von „Examination Hell“, der Prüfungshölle, die auf vielen Jugendlichen lastet. Viele Schüler besuchen zusätzlich zur regulären Schule noch Nachhilfeschulen am Abend (Juku), um im Wettbewerb nicht zurückzufallen – das bedeutet lange Tage: Schule bis Nachmittag, dann Klubaktivitäten und/oder Juku bis abends. Freizeit unter der Woche wird knapp.
Auf der anderen Seite führt dieser Eifer dazu, dass japanische Schüler in internationalen Vergleichen hervorragend abschneiden. Die Grundbildung ist sehr solide. Die Alphabetisierungsrate liegt praktisch bei 100%, und in Tests wie PISA erreicht Japan regelmäßig Spitzenplätze. In der PISA-Studie aus dem Jahr 2022 erreichte Japan herausragende Platzierungen: In Lesen belegte es den 3. Platz mit 516 Punkten, in Mathematik den 5. Platz mit 536 Punkten und in Naturwissenschaften sogar den 2. Platz mit 547 Punkten. Werte die deutlich über dem OECD-Durchschnitt von 488 Punkten liegen. Im Vergleich dazu schnitt Deutschland deutlich schlechter ab: Seine höchste Platzierung lag nur auf Rang 18, während das schwächste Ergebnis im Fach Mathematik mit Platz 30 besonders weit zurückfiel – Japanische Schüler glänzen besonders in Mathematik und Naturwissenschaften.
Vorteile des japanischen Bildungssystems: Die Schulen vermitteln starken Gemeinschaftssinn und Disziplin. Schüler reinigen in vielen Schulen selbst ihre Klassenzimmer (es gibt Reinigungspausen, in denen gemeinsam gekehrt und geputzt wird) – so etwas fördert Verantwortungsbewusstsein. Es gibt feste Schuluniformen, was ein Wir-Gefühl erzeugt und sozialen Druck durch Mode verringern soll. Der Unterrichtsstoff – gerade in Mathematik und Naturwissenschaft – ist anspruchsvoll und führt dazu, dass viele Schüler ein hohes Niveau erreichen. International betrachtet bringt das System viele sehr gut ausgebildete Absolventen hervor. Die Lehrpläne sind in ganz Japan einheitlich, sodass alle Schüler einen annähernd ähnlichen Bildungsstandard erhalten. Zudem herrscht in den Klassen meist Ruhe und Respekt; Lehrer genießen Ansehen, und Disziplinlosigkeiten (die es natürlich auch gibt) werden bei weitem nicht so toleriert wie man es aus manch westlicher Schule kennt.
Nachteile und Kritik
Der vielleicht größte Kritikpunkt ist der massive Leistungsdruck. Durch die Fixierung auf Prüfungen und Tests entsteht ein Bulimie-Lernen (Stoff kurzfristig auswendiglernen, um Punkte zu sammeln). Kreatives oder kritisches Denken kommt mitunter zu kurz. Experten bemängeln, dass Auswendiglernen vor analytischem Verständnis steht – das System belohnt das Memorieren von Fakten stärker als hinterfragendes Lernen. Die Aufnahmeprüfungen gelten als übermäßig stressig und prägen das Leben junger Schülerinnen und Schüler in einer Phase, in der Gleichaltrige in anderen Ländern mehr Freizeit haben. Auch Freude am Lernen kann unter dem Konkurrenzkampf leiden. Ein weiterer Nachteil: Individualität hat es schwerer. Das System ist eher auf die Masse ausgerichtet – alle durchlaufen einen ähnlichen Weg, persönliches Talent oder unorthodoxe Karrieren finden wenig Platz. Wer nicht ins Raster passt (z.B. Lernschwächen hat oder kreativere Begabungen, die nicht prüfungsrelevant sind), fühlt sich im japanischen System oft nicht wohl.
Phänomene wie Schulverweigerer (Hikikomori – Achtung das Thema ist weitaus größer!) oder erhöhte Jugend-Suizidraten werden teilweise mit dem Schulstress in Verbindung gebracht. Zum Vergleich: In Deutschland gibt es natürlich auch Leistungsdruck (etwa beim Übergang auf weiterführende Schulen oder dem Abitur), aber das System ist durchlässiger und diversifizierter. Es gibt unterschiedliche Schulformen (Hauptschule, Realschule, Gymnasium etc.) und zweite Bildungswege. Zwar kritisieren manche, dass in Deutschland schon mit 10 Jahren durch die Grundschulempfehlung sortiert wird, aber dafür gibt es später Möglichkeiten, aufzuholen (z.B. Fachabitur, Abendschulen und Fern-Universitäten). Und während Prüfungen wie das Abitur wichtig sind, hängt die ganze Zukunft eines Jugendlichen nicht an einer einzigen Prüfung so stark wie in Japan.
Zusammengefasst bietet das japanische Schulsystem eine sehr gute Grundbildung und starke Leistungen, verlangt den Schülern aber auch eine Menge ab. Die romantische Vorstellung japanischer Schulen – freundliche Kinder in Matrosenuniformen, bunter Sportfeste und Kulturfestivals (wie man sie aus den süßesten Anime kennt) – existiert zwar ganz real, aber dahinter steckt ein straffes Lernregiment. Fleiß und Disziplin werden großgeschrieben. Wer Japan nicht kennt, mag erstaunt sein, dass schon Grundschüler manchmal mit schweren Ranzen voller Bücher bis abends büffeln. Allerdings darf man das System auch nicht nur als „Druckkessel“ sehen. Viele japanische Schülerinnen und Schüler genießen ihre Schulzeit durchaus, besonders durch die intensiven Klubaktivitäten (Sport, Musik, Kunst, etc.), die Teil des Schulalltags sind und in denen Freundschaften und Teamgeist entstehen. Im Vergleich mit Deutschland kann man sagen: höherer Druck und Lernumfang, aber dadurch auch hohe Leistungen und Gemeinschaftsgefühl – beides hat Licht- und Schattenseiten.
Ich war in Deutschland der absolute klassische ‚Kein-Bock-auf-Schule‘-Schüler – auch wenn ich mehr oder weniger brav durchgezogen habe. Später, zu Zeiten des Abiturs, hat mir die Schule zwar Spaß gemacht, aber rückblickend würde ich mir, wenn ich noch einmal leben könnte, das japanische Schulsystem wünschen. Klar, der Leistungsdruck wäre enorm viel höher, als ich ihn kenne, aber das gesamte Drumherum – insbesondere die Klubaktivitäten und kulturellen Aspekte wie die Feste – haben einen großen Reiz auf mich.
Lebenshaltungskosten
Japan war lange als teures Pflaster verschrien – man hört von astronomischen Mieten in Tōkyō, 100-Euro-Melonen und generell hohen Preisen. Die Realität der Lebenshaltungskosten ist jedoch differenzierter und oft überraschend im Vergleich zu Deutschland.
Zunächst ist wahr, dass Tōkyō und andere Metropolen in Japan sehr teuer sein können. Vor allem Wohnraum ist knapp und teuer. Eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung in zentraler Lage von Tōkyō kann so viel Miete kosten wie eine Vier-Zimmer-Wohnung in einer deutschen Großstadt. Außerdem sind einige Produkte in Japan nahezu Luxus: bestes Beispiel sind Obst und Lebensmittel-Delikatessen. Berühmt-berüchtigt sind die hochpreisigen Melonen oder riesigen Trauben, die in edlen Geschenkboxen verkauft werden. Für eine einzige perfekt geformte Melone zahlt man leicht 10.000 Yen (umgerechnet rund ca. 66 Euro – nach aktuellem Kurs, Stand 2024). Solche Luxusfrüchte sind allerdings Geschenkartikel und nicht der tägliche Standard. Die alltäglichen Lebensmittel in normalen Supermärkten sind nicht so extrem: Reis, Gemüse und auch Obst bekommt man zu vernünftigen Preisen, teils ähnlich wie in Deutschland. Zumindest war das bis vor einigen Monaten so! Naturkatastrophen und schlechte Ernten treiben den Preis für Reis immer weiter in die Höhe. Ganz aktuell – also jetzt im März 2024 – hat die japanische Regierung gut ein fünftel der nationalen Notfall-Reisreserven freigegeben, um den Preis pro Kilo zu senken – leider mit mäßigem Erfolg. Immer wieder lese ich auf sozialen Plattformen, dass der massive Tourismus in Japan die Preise in die Höhe treibt – das lasse ich mal unkommentiert und überlasse die Meinung dazu dem gesunden Menschenverstand 😉
Interessanterweise hat sich das Verhältnis der allgemeinen Lebenshaltungskosten in den letzten Jahren relativiert. Statistiken zeigen, dass das Leben in Japan im Durchschnitt nicht teurer ist als in Deutschland – eher im Gegenteil: Laut einem internationalen Vergleich der Durchschnittskosten ist Deutschland im Schnitt rund 40% teurer als Japan bei den Lebenshaltungskosten – obschon Japan in einigen Bereichen extrem teuer ist, wie zum Beispiel beim bereits erwähnten Wohnraum. Eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung kann monatlich 100.000–150.000 Yen (ca. 650–970 Euro) kosten.
Gründe dafür sind u.a. die lange Phase wirtschaftlicher Stagnation und Deflation in Japan, wodurch Preise für viele Dinge kaum gestiegen sind, während in Europa zuletzt die Inflation die Kosten erhöht hat. Beispielsweise sind Mieten außerhalb der absoluten Innenstadtlagen in Japan oft moderat. In vielen japanischen Vororten oder ländlichen Gebieten kann man deutlich günstiger wohnen als in deutschen Ballungszentren. Auch Essen gehen kann in Japan preiswert sein: Es gibt unzählige kleine Restaurants, in denen man für umgerechnet 5-10 Euro eine Schüssel Ramen oder ein ganzes Menü (z.B. Curryreis, Spießchen Yakitori usw.) bekommt. In Deutschland wäre ein Restaurantessen oft teurer.
Allerdings muss man unterscheiden wo in Japan man lebt. In Tōkyō und Regionen wie Yokohama, Ōsaka, Kyōto sind vor allem Wohnraumpreise hoch. Zudem sind Wohnungen meist kleiner als in Deutschland – viele Japaner leben auf engem Raum (Single-Apartments um 15–30 m² sind normal). Wer mit deutscher Erwartung an große Wohnzimmer und Keller nach Tōkyō kommt, könnte einen „Kulturschock“ erleben. Dafür sind andere Posten günstiger: Öffentliche Verkehrsmittel zum Beispiel. In Japan kommt man ohne Auto aus – Züge, U-Bahnen und Busse sind zwar nicht billig, aber effizient. Ein Monatsticket für die Bahnstrecke zur Arbeit kann durchaus kostspielig sein, aber man spart sich dafür Versicherungen, Sprit und Steuern fürs Auto, die in Japan hoch wären (Autohaltung ist besonders in Städten teuer und unüblich). Strom und Gas sind vergleichbar mit Deutschland, allerdings sind viele japanische Wohnungen schlecht isoliert (im Winter muss man viel heizen, im Sommer klimatisieren, was hohe Kosten verursacht).
Im Vergleich mit Deutschland sind manche Dinge günstiger, andere teurer. Elektronik und Technikprodukte etwa sind in Japan oft preiswert und aktuell (man denke an Kameras, Computer – da ist die Auswahl groß und Preise kompetitiv). Lebensmittel kosten ähnlich; importierte westliche Produkte (Käse, Brot, Wein) können teurer sein, lokale Dinge (Tofu, Nudeln, grüner Tee) dagegen günstig. Restaurantbesuche oder fertig zubereitete Bento-Boxen vom Laden an der Ecke bekommt man in Japan relativ billig, während in Deutschland selber kochen meist ökonomischer ist als häufig essen zu gehen. Japan hat auch eine niedrigere Mehrwertsteuer (10% auf die meisten Waren, in Deutschland 19%), was manche Preise drückt. Vorsichtig ausgedrückt gibt es in Japan aber eine deutlich größere Vielfalt an Steuern 😉
Eine interessante Beobachtung: Während ein westlicher Tourist früher in Tōkyō staunend hohe Preise sah, empfinden heute manche Japaner, die nach Europa reisen, Deutschland als teuer – sei es beim Bier im Biergarten oder den Hotelkosten. Das Preisgefälle hat sich also teilweise umgekehrt. Letztlich hängt es vom Lebensstil ab: In beiden Ländern kann man mit vernünftigem Gehalt gut leben. Luxus ist in Japan nach wie vor teuer, aber das Alltagsleben (Miete, Essen, Transport) ist vergleichbar mit westlichen Ländern und oft sogar günstiger als in den teuersten Gegenden Deutschlands. Wer also eine romantische Vorstellung von Japan als extrem teurem Pflaster hat, den wird die Realität positiv überraschen: Vieles ist bezahlbar, gerade wenn man sich wie die Einheimischen verhält und lokale Angebote nutzt. Wer aber mittendrin – also im Zentrum – wohnen und leben möchte, muss natürlich tief in die Tasche greifen.
Alltag in Japan
Der Alltag in Japan unterscheidet sich in vielen kleinen, aber entscheidenden Punkten von dem in Deutschland. Was einem sofort auffällt, ist die unglaubliche Struktur und Organisation im öffentlichen Leben. Alles funktioniert nach einem festen System, das selten hinterfragt wird – von der Pünktlichkeit der Züge über die geordnete Mülltrennung bis hin zu gesellschaftlichen Gepflogenheiten, die den Umgang miteinander bestimmen.
Besonders bemerkenswert ist die legendäre Pünktlichkeit der öffentlichen Verkehrsmittel. In Japan ist es fast undenkbar, dass ein Zug oder Bus mehrere Minuten zu spät kommt. Selbst kleine Verzögerungen werden durch Lautsprecher-Durchsagen oder schriftliche Entschuldigungen auf der Website der Bahngesellschaft erklärt. Ein krasser Kontrast zur Deutschen Bahn, bei der Verspätungen fast schon zum Alltag gehören. Diese Perfektion hat allerdings ihren Preis: Während der Rush Hour quellen die Bahnhöfe über, und Pendler müssen sich in die überfüllten Züge quetschen. Szenen, in denen Bahnmitarbeiter (Oshiya) die Passagiere in die Wagen drücken, sind für viele Japaner ein gewohntes Bild, für Ausländer aber oft ein Kulturschock.
Die Arbeitswoche ist für viele Japaner fordernd, mit langen Tagen, wenig Freizeit und oft späten Feierabenden. Anders als in Deutschland, wo viele Arbeitnehmer nach Dienstschluss abschalten können, ist in Japan die Arbeit oft auch nach Büroschluss noch präsent. Das zeigt sich unter anderem in den traditionellen „Nomikai“, den gemeinsamen Trinkrunden mit Kollegen. Diese sind keine bloße Freizeitaktivität, sondern ein wichtiger Bestandteil der Unternehmenskultur. Wer sich dem entzieht, gilt schnell als unsolidarisch – selbst wenn man nach einem langen Arbeitstag eigentlich lieber nach Hause gehen würde.
Apropos Zuhause: Die Wohnsituation in Japan unterscheidet sich stark von der in Deutschland. In Großstädten sind Wohnungen oft klein und funktional, mit einer Wohnfläche von 20–30 m² für eine Einzelperson. Große Wohnzimmer oder offene Küchen, wie man sie in Deutschland kennt, sind hier eher die Ausnahme. Viele Apartments haben kleine Badezimmer mit tiefen, aber kompakten Badewannen und oft keine zentrale Heizung, weshalb man im Winter mit elektrischen Heizgeräten nachhelfen muss. In ländlicheren Gegenden oder Vororten gibt es jedoch durchaus größere Häuser, die oft traditionellen Elemente wie Tatami-Matten, Shoji-Schiebetüren oder hölzerne Veranden beibehalten.
Was das alltägliche Einkaufen angeht, ist Japan ein wahres Paradies an Bequemlichkeit. 24-Stunden-Convenience-Stores, sogenannte „Konbini“, sind an fast jeder Straßenecke zu finden. Sie bieten nicht nur Snacks, Getränke und Fertiggerichte, sondern auch viele Dienstleistungen: Man kann dort Rechnungen bezahlen, Konzerttickets kaufen oder Pakete abholen. Während in Deutschland Supermärkte spätestens um 22 Uhr schließen und sonntags alles dicht ist, kann man in Japan zu jeder Tages- und Nachtzeit eine warme Mahlzeit oder einen Kaffee bekommen.
In der Gesellschaft selbst ist der Alltag von einer starken Rücksichtnahme auf andere geprägt. Japaner vermeiden es, in der Öffentlichkeit laut zu sprechen oder sich auffällig zu verhalten. In Bahnen und Bussen ist es beispielsweise unüblich, laut zu telefonieren oder sich ausgedehnte Gespräche zu liefern – stattdessen herrscht eine ruhige, fast schon gedämpfte Atmosphäre. Öffentliche Räume sind extrem sauber, obwohl es kaum Mülleimer gibt – einfach, weil die Menschen ihren Müll mit nach Hause nehmen, anstatt ihn irgendwo liegen zu lassen.
Die Freizeitgestaltung unterscheidet sich ebenfalls. Während in Deutschland viele soziale Treffen im privaten Umfeld stattfinden – Grillabende, Filmnächte oder gemeinsames Kochen in der eigenen Wohnung – verlagert sich das soziale Leben in Japan eher nach draußen. Man trifft sich in Restaurants, Karaoke-Bars oder Parks, anstatt Freunde nach Hause einzuladen. Einer der Gründe dafür ist der begrenzte Wohnraum, aber auch die Kultur, in der Privatsphäre eine größere Rolle spielt.
Ein wichtiger Aspekt des japanischen Alltags sind die kulturellen und saisonalen Traditionen, die das Jahr in feste Abschnitte gliedern. Von den Neujahrsfesten (Shōgatsu) über das berühmte Kirschblütenfest (Hanami) im Frühling bis hin zu spektakulären Sommerfeuerwerken und Herbstlaub-Touren – Japan ist ein Land, das stark von seinen Jahreszeiten und deren Feierlichkeiten geprägt ist. Diese Feste sind nicht nur schöne Ereignisse, sondern auch tief in den Alltag der Menschen verwoben.
Alles in allem bietet das Leben in Japan eine faszinierende Mischung aus moderner Effizienz und tief verwurzelten Traditionen. Einerseits ist alles extrem gut organisiert, sicher und komfortabel, andererseits gibt es viele soziale Regeln und einen gewissen Leistungsdruck, der den Alltag für manche auch anstrengend machen kann. Wer Japan romantisiert, mag überrascht sein, wie viel Disziplin und gesellschaftliche Erwartungen hinter der geordneten Fassade stecken – aber genau das macht das Leben hier auch so einzigartig.
Was bleibt?
Zusammenfassend ist der Alltag in Japan einerseits hochmodern (Smartphones, High-Tech-Toiletten, Automaten überall), andererseits traditionell geprägt (Höflichkeitsformen, Rituale im Kleinen). Die westliche Lebensweise wirkt dagegen lockerer und individueller – in Deutschland schätzt man z.B. die persönliche Meinung direkt zu sagen, während in Japan oft indirekt kommuniziert wird, um Harmonie zu wahren. Weder das eine noch das andere ist „besser“; es sind kulturelle Eigenheiten, die den Alltag verschieden färben. Wer Japan nur aus Filmen oder Büchern romantisch verklärt kennt, mag erstaunt sein, wie komplex und facettenreich das Leben hier tatsächlich ist. Es gibt unheimlich bequeme Seiten (jederzeit Essen kaufen können, super sicheres Gefühl draußen) und gleichzeitig Herausforderndes (lange Arbeitstage und teils enger Wohnraum). Gerade dieser Kontrast zwischen Tradition und Moderne macht den japanischen Alltag so interessant.
Japan in Realität ist ein Land der Kontraste. Vieles, was romantisiert wird, hat einen wahren Kern – Japan ist sicher, organisiert, kulturell reich. Gleichzeitig gibt es Aspekte, die im glänzenden Bild oft untergehen: den harten Arbeitsdruck hinter der freundlichen Fassade, den Stress der Schüler hinter den Schuluniformen, oder den beengten Wohnraum hinter der Neon-Skyline. Der Vergleich mit Deutschland konnte die Unterschiede hoffentlich ein wenig greifbarer machen. Während Japan in Kriminalitätsstatistiken glänzt und durch Disziplin beeindruckt, punktet Deutschland z.B. bei Work-Life-Balance und individueller Freiheit. Für jemanden, der Japan noch nicht kennt, gilt: Die wichtigsten Fakten – von niedrigen Verbrechensraten bis zu hohen Lebenshaltungskosten – sollte man wissen, aber ebenso die kulturellen Nuancen, die den Alltag prägen. So ist Japan weder das völlig fremde exotische Reich noch ein reines Hightech-Paradies, sondern ein modernes Land mit eigener Prägung. Wer das versteht, kann Japan jenseits der Klischees erleben – und wird sowohl die bekannten Vorzüge als auch die unerwarteten Seiten schätzen lernen.
Quellen
nippon.com (Kriminalität) & nippon.com (Schulsystem), shrm.org (Arbeitsleben), japaninterculutral.com (Arbeitswelt/Urlaubstage), factsanddetails.com (Schule/Prüfungshölle), wikipedia.org (Bildung), livingcost.org (Lebensunterhalt), researchgate.net (Zugverspätungen), statista.de (Kriminalität Japan) & statista.de (Kriminalität Deutschland), sugoimart.com (Alltag)