Zusammen mit meinen Freunden Alex und Rebecca war ich im September 2024 in Japan. Endlich wieder ein wunderbarer Urlaub am anderen Ende der Welt, nach Jahren ohne die japanische Luft. Ich glaube, es war am zweiten Tag unserer Reise, als ich über ein soziales Netzwerk von dem Städtchen Kawagoe erfuhr. Allein die Bilder, die ich online sah, haben mich begeistert und ich war schon jetzt ein wenig in diese Stadt verliebt. Wenige Tage später machten wir uns morgens auf den Weg nach Kawagoe. Vom Bahnhof Ikebukuro ging es mit der Tobu-Tojo Line bis nach Kawagoe und von dort noch ein paar Minuten weiter mit dem Bus, durch die alte Händlerstraße hindurch, bis fast an ihr Ende.
Da waren wir nun, mitten in Kawagoe – etwa 30 Minuten bis 1,5 Stunden von Tōkyō entfernt, je nach Zuglinie. Ich bevorzuge fast immer die längere Reiseroute: Entlang der Bahnlinien entdeckt man wundervolle Natur und auch den ein oder anderen interessanten Ort. Aber ganz im Ernst, es ist vollkommen egal, in welche Bahnlinie man mich in Japan setzt und in welche Richtung der Zug fährt – ich könnte an jeder, absolut jeder Haltestelle aussteigen und die Stadt erkunden.
Wir waren also in Kawagoe angekommen, und was soll ich sagen: Ich liebe diese Stadt von der ersten Sekunde an. Objektiv betrachtet, also mal abgesehen von den wenigen Häusern aus der Edo-Zeit, ist hier eigentlich nichts wirklich anders als, und doch war hier alles anders. Der Himmel sah, für mich, anders aus, die Luft war irgendwie milder, die Umgebungsgeräusche gedämpfter, die Farben voller Leben, die Menschen wirkten entspannt – es war, als hätte man die Zeit angehalten. Es gab einen Moment tief in meinem Inneren, der mich selbst völlig überraschte. Ich war erst vor wenigen Herzschlägen in Kawagoe angekommen, doch sofort breitete sich in mir ein ganz bestimmtes Gefühl aus. Es war, als würden mich alle Menschen, die ich liebe, gleichzeitig umarmen – tiefe Geborgenheit durchströmte jeden Winkel meines aufgeregten Körpers. Und je länger ich mit meinen Füßen durch die Straßen Kawagoes schritt, desto klarer wurde dieses Gefühl in mir: Heimat.








Die Reise nach Little Edo (oder auch Koedo), wie die Stadt auch genannt wird, fühlte sich an wie eine Zeitreise. Es fällt mir schwer, die überwältigenden Eindrücke in Worte zu fassen, und schon bei den kleinsten Gedanken an diesen Ort kommen mir kleine Freudentränen. Selbst die Zugfahrt fühlte sich besonders an, als führte der Weg weit hinaus aufs Land, an Feldern und unbekannten Städten vorbei. Das Zugabteil, das sich anders als in Tōkyō an jeder Haltestelle nach und nach leerte, knarrte und knirschte. Die Zugansagen wirkten irgendwie angestaubt, obwohl sie kaum anders waren als die im Zentrum Tōkyōs. Vielleicht sagen Bilder doch mehr als Worte, und natürlich habe ich ein kleines Video über diese aufregende Reise gedreht.
* Videoinformationen & Copyright
Zu Fuß erkundeten wir die alte Händlerstraße, deren Häuser teilweise noch aus der Edo-Zeit stammen und der Stadt auch den Namen Mini-Kyōto verliehen haben. Da Kawagoe weniger bekannt ist als Kyōto, trifft man hier auch nur auf eine Handvoll Touristen – dabei ist die Stadt nicht weniger aufregend. Ein kleines Lokal erregte meine Aufmerksamkeit. Ich weiß nicht, ob es meine Augen oder meine Nase war, die mich letztlich durch den Vorhang treten ließen, aber ich bestellte mir die wohl beste Bratwurst im Laugenbrötchen, die ich je in Japan gegessen habe. Es klingt vielleicht seltsam, und obwohl Japan nun wirklich nicht für Bratwurst berühmt ist, war das ein kleines Erlebnis. Das Lokal, eine kleine familiengeführte Metzgerei, bot neben frischem Fleisch und Wurst auch liebevoll eingekochtes Gemüse an. Wir setzten uns auf die Holzbänke und genossen ein frisch gezapftes Bier und die warme Wurst im Laugenbrötchen.






In diesem Moment stand für mich fest: Ich werfe meine bisherigen Pläne für 2025 komplett über den Haufen und werde – nicht wie geplant – in den mir bekannten Teilen Japans wohnen, sondern in Kawagoe. Und ja, so ist es: Im Januar ziehe ich in meine Wohnung mitten in Kawagoe, ganz in der Nähe des alten Glockenturms.
Nennen wir es Dummheit
Durch einen Zufall – oder nennen wir es, wie es ist: meine Dummheit – habe ich bei der Wohnungssuche eine weitere Wohnung entdeckt, die ich einfach umwerfend süß fand und unbedingt haben wollte. Ich hätte nur eventuell, ganz vielleicht, unter Umständen etwas weiter in die Karte hineinzoomen sollen. Dann wäre mir aufgefallen, dass diese wunderbare Wohnung gar nicht in Kawagoe liegt, sondern in Hamura 😅 😂

Hamura – 羽村市
So kam es, dass ich meine zweite Wohnung ab Februar in Hamura gemietet habe. An dieser Stelle würde ich gerne etwas über Hamura erzählen, aber ehrlich gesagt weiß ich noch nichts über diese Stadt. Auch wenn Hamura nicht gänzlich unbekannt ist, wird sie leicht übersehen und ist Touristen kaum ein Begriff. Hamura grenzt im Westen an den Tama-Fluss und ist vor allem für den Hamura-Zoo bekannt, in dessen Nähe ich wohnen werde. Dann ist da noch der 59.000 Quadratmeter große Tulpenpark, auf dessen Anblick ich mich wahnsinnig freue. Auf YouTube gibt es leider nur eine Handvoll Videos, und auch die große und bekannte Suchmaschine liefert kaum Informationen zu dieser Stadt. Also doch eher unbekannt – genau das reizt mich. Ich bin gespannt, was mich erwartet und was ich alles in Hamura entdecken werde.
Nachdem ich also unerwartet ein zweites Mal an einem neuen Ort wohnen werde, war dies auch der Zeitpunkt, an dem ich beschlossen habe, meine Reiseroute komplett zu verwerfen und ein wirkliches Abenteuer daraus zu machen. Abgesehen von einer einzigen Präfektur und einer einzigen Stadt, habe ich nur Orte gewählt, in denen ich bisher nie war und die auch nicht besonders nah am Zentrum von Tōkyō liegen – alles eher ländlich. Dann lerne ich Japan eben von allen Seiten auf einmal kennen. 🙂
Was kommt denn noch?
Vor über zehn Jahren wurde eine Stadt und gleichnamige Präfektur weltweit bekannt – genauer gesagt am 11. März 2011 um 14:46 Uhr Ortszeit, als das Tōhoku-Erdbeben eine der verheerendsten nuklearen Katastrophen der Menschheit im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi auslöste. Seitdem sollte das Leben in Fukushima nie wieder so sein wie zuvor. Der Tourismus brach ein, viele Menschen verließen die Region, und die Dekontaminations- und Aufräumarbeiten werden noch Jahrzehnte andauern. Die Menschen in Fukushima haben es seither schwer, und aufgrund der Strahlenbelastung kämpfen sie mit Mobbing und Vorurteilen. Was viele leider vergessen – auch Einheimische –, ist, dass die Sperrzone rund um die radioaktiv verseuchten Gebiete gerade einmal 300 Quadratkilometer umfasst.
Ich möchte dieses schreckliche Ereignis keinesfalls abmildern oder beschönigen! Viele Menschen haben ihre Heimat, Angehörige und Haustiere für immer verloren. Die Sperrzone wird in großen Teilen auch für immer eine Sperrzone bleiben. Dennoch war Fukushima-Stadt selbst gar nicht direkt von der Katastrophe betroffen. Trotzdem ist „Fukushima“ nun ein Synonym für eine strahlende, menschengemachte Katastrophe geworden. Wie sehr Fukushima zu einem Synonym für das Unglück geworden ist, merkt man schnell, wenn man bei YouTube beispielsweise Informationen über die Stadt sucht – zu finden sind fast ausschließlich Dokumentationen über die Katastrophe. Das ist mehr als traurig! Die Menschen dort kämpfen mit Mobbing und Vorurteilen, sogar innerhalb Japans. Menschen, die landwirtschaftliche Produkte wie Gemüse und Obst aus Fukushima verkaufen, haben immer noch damit zu kämpfen, dass Menschen Angst vor radioaktiv belasteten Lebensmitteln haben. Doch die Wahrheit ist, dass Lebensmittel nirgendwo auf der Welt so streng kontrolliert werden wie in Fukushima. Der Tourismus war nach dem Unglück völlig zusammengebrochen und hat sich erst vor einigen Jahren erholt. Dabei bietet die Präfektur neben einer üppigen und wunderschönen Natur auch unfassbar viel Kultur. Ob Feste, die das ganze Jahr über stattfinden, lokale Spezialitäten wie die Enban Gyoza, historische Dörfer und Tempel, atemberaubende Landschaften, Vulkane oder Höhlen – die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Fukushima ist ein weiterer wundervoller Ort mitten in Japan, und ich freue mich darauf, die Stadt, ihre lokalen Spezialitäten, die Natur und die Menschen kennenzulernen.
Informationen zum Video
Videos, Bilder & Schnitt
Gino Dola
Zugansage
https://www.youtube.com/watch?v=z__DMubWggE&list=PLyKaDD_LmsRqesM-11bndGpcWfSnWis8W&index=18
Musik
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