Japan – (m)ein Gefühl
Japan – (m)ein Gefühl

Japan – (m)ein Gefühl

Lesedauer 7 Minuten

In Japan lebe ich nun seit zwei Wochen meinen Lebenstraum. Und gleich vorweg: Auch wenn ich versuche, objektiv zu sein, kann ich nicht leugnen, dass meine scheinbar unendliche Liebe zu diesem Land in jedem meiner Worte mitschwingt. Der strahlendblaue Himmel, der mich jeden Morgen begrüßt, scheint hier eine Nuance intensiver, fast lebendiger zu sein. Die Sonne wärmt mich ein wenig sanfter, als sie es in Deutschland je getan hat. Und über allem liegt dieser zarte, fast magische Schleier, der das Leben hier ein kleines bisschen schöner, entspannter und wertvoller wirken lässt.

Dabei meine ich nichts Materielles – obwohl ich die unglaubliche Vielfalt an Dingen, die man hier rund um die Uhr und an jedem Tag der Woche kaufen kann, durchaus schätze. Ich liebe die unzähligen Tools, Gadgets und Alltagshelfer – diese verrückten, oft unnötigen, aber so niedlichen Dinge, die mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Ob praktische Helfer, die ich noch nie zuvor gesehen habe, oder Haushaltsgegenstände, die einfach nur Freude bereiten – dieses Land überrascht mich immer wieder.

Und ich… ich weiß nicht, wie ich vorher ohne all diese nützlichen Alltagshelfer leben konnte! Doch ich möchte über etwas viel Wichtigeres schreiben.

Das Gefühl, das Japan mir gibt

Es ist ein Gefühl, das weit über das hinausgeht, was ich in all meinen Urlauben hier erlebt habe. Der ganz normale Alltag wird von der Gesellschaft, den Institutionen und jedem einzelnen Menschen so warm und respektvoll gestaltet, dass selbst die gewöhnlichsten Dinge – wie der Gang zum Friseur oder in den Supermarkt – sich anfühlen, als wären sie etwas ganz Besonderes. Und nicht nur das, es gibt – zumindest mir – auch das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Nein, das ist falsch formuliert – es gibt mir das Gefühl, wertvoll zu sein. Ein Teil der Gesellschaft, der ebenso viel Respekt erfährt wie jeder andere Mensch, ganz gleich, wie voll mein Geldbeutel ist und auch ganz gleich, woher ich komme.

Jeder ist hier bemüht, immer mit einem Lächeln (und ja, natürlich ist das nicht immer ein echtes Lächeln) weiterzuhelfen, jedes noch so kleine Ereignis zu einem besonderen Moment zu machen. Beim Einkaufen wird mein Einkauf in den meisten Fällen vom Personal in Einkaufstüten verpackt, dabei wird darauf geachtet, dass nichts unten in der Tüte landet, was von den darüberliegenden, schwereren Sachen beschädigt wird. Wenn ich kalte und warme Getränke und Speisen kaufe, bietet man mir an, diese getrennt zu verpacken, damit Kaltes kalt und Warmes warm bleibt.

Dass hier nicht nur ein paar Menschen mehr, sondern Millionen mehr als in Deutschland durch das tägliche Leben gehen, sollte klar sein. Und dennoch: Nicht ein einziger dieser Menschen hat mich doof angemacht, mich angerempelt oder ist mir sonst wie negativ aufgefallen. Im Zug wird weder gesprochen noch laut Musik gehört. Ganz egal, ob es um die Bahnhöfe geht, die Züge, die Straßen und Bürgersteige, öffentliche Toiletten, Telefonzellen – wirklich vollkommen egal – alles hier ist blitzblank sauber und funktionstüchtig. Penibel wird hier so ziemlich jede Ecke und jede noch so kleine Ritze sauber gehalten.

Nichts wird so heiß gegessen…

…wie es gekocht wird – schon klar! Natürlich gibt es auch hier Orte, an denen Müll auf dem Boden liegt – etwa nachts, vor den wenigen Raucherspots. Doch dieser Müll bleibt hier eben nicht lange liegen. Binnen Minuten erscheint ein städtischer Mitarbeiter, der mit weißen Handschuhen geschickt Besen und Kehrblech über den Boden führt und den Müll beseitigt. Selbstverständlich leben hier nicht nur Engel, und auch in Japan rauchen Menschen gelegentlich auf der Straße. Doch selbst dann halten sie sich an gewisse ungeschriebene Regeln: nicht beim Gehen rauchen, nicht in der Nähe von Kindern, generell nicht in der Nähe anderer Menschen. Und alle tragen stets einen Taschenaschenbecher bei sich. Zigarettenstummel oder Kaugummis auf dem Boden? Das musst du hier schon wirklich suchen. Selbst in den Raucherzonen wird mit Bodenmarkierungen darauf geachtet, dass niemand gestört wird, und man wahrt stets einen respektvollen Abstand.

Abends und früh morgens, wenn die Straßen ruhiger werden, fahren moderne Müllfahrzeuge durch die Stadt, die aussehen, als wären sie erst vor wenigen Minuten frisch aus dem Werk gerollt. Sie sammeln die fein säuberlich getrennten Müllsäcke ein. Wer glaubt, Deutschland sei Weltmeister im Mülltrennen, sollte einmal das japanische System erleben – hier wird wirklich alles getrennt, und das auf eine Weise, die nahezu wissenschaftlich anmutet.

Wenn ein LKW entladen wird, etwa vor einer Baustelle, dann gibt es extra Personal, das vor und hinter dem LKW darauf achtet, dass während ein Fußgänger oder Fahrradfahrer den Weg kreuzt, nichts be- oder entladen wird. Ja, die Arbeit wird pausiert. Mit seichten Handbewegungen werde ich auf die „Gefahrenstelle“ hingewiesen, die bereits pausiert, und daran vorbeigeleitet. Am Ende der Gefahrenstelle verabschiedet mich ein weiterer Sicherheitsbeamter mit einem Lächeln und einem Dankeschön.

Wo – bin – ich – hier? Und wann wache ich aus diesem Traum auf?

Heute Morgen, auf dem Rückweg vom Einkaufen – während mir Pikachu im Vorbeigehen noch einen Handyvertrag schmackhaft machen wollte – begegnete ich zum ersten Mal meiner Nachbarin. Es war eine ältere Dame, die sich an der Außenmauer unseres Hauses in der Sonne wärmte. Sie grüßte mich mit einem Lächeln und sagte, wie wunderschön dieser Tag sei – ich solle doch auch die Wärme der Sonne genießen. Das mache ich! Solche Begegnungen sind hier keine Ausnahme, sondern Alltag.

Ich bin hier mitten in einem Land, dessen Farben und Formen alleine mich schon in seinen Bann ziehen. Doch das Leben, das hier tags und nachts zwischen den Betonnadeln hindurch pulsiert, fasziniert mich mit jedem Herzschlag mehr. So ziemlich jeder Hauseingang ist mit Blumen geschmückt, liebevoll dekoriert. Das wäre in Deutschland in wenigen Stunden, im Schutze der Nacht, geklaut oder mindestens beschädigt. Ich kann hier am Schrein mitten in der Sonne sitzen, auf einer Bank, an einem Tisch aus Holz, der hier nicht erst seit gestern steht, aber so aussieht.

Ich kann einfach einige Minuten fort sein, mein Hab und Gut an Ort und Stelle stehen lassen und mir einen Kaffee holen – und wenn ich wiederkomme, ist mein Laptop, mein Rucksack, alles noch da. Die Tatsache, dass ich an jedem – und ich meine wirklich jedem – Bahnhof hier einen Tisch finde, auf dem ein Stempel und ein Stempelkissen stehen, die nicht beschädigt oder geklaut sind, damit ich und auch alle anderen, die ihre Bahnhöfe lieben, die beliebten Eki-Stempel sammeln können, ist der absolute Wahnsinn. Keine fünf Minuten würde ein loser Stempel in Deutschland an einem öffentlichen Ort überleben.

Ich könnte natürlich auch über die pure Schönheit und die schiere Anzahl an öffentlichen Parks, Plätzen und Bänken schreiben – all die Sitzmöglichkeiten, die hier für jeden frei zugänglich und nutzbar sind. Oder die unzähligen Einkaufszentren, eines schöner und größer als das andere. All das ist ebenso gepflegt und sauber wie alles andere in diesem Land. Auch die faszinierende Ästhetik mancher öffentlicher Verkehrsmittel verdient es, einen Beitrag nach dem anderen zu füllen. Doch für heute belasse ich es dabei und hebe mir diese Geschichten für ein anderes Mal auf.

Ich könnte ewig weiterschreiben und vielleicht werde ich das auch tun, denn meine Eindrücke scheinen so schnell nicht zu enden. Doch nichts von dem, was ich hier erzähle, ist übertrieben oder geschönt. Es ist die ungeschönte Wahrheit – es ist mein Alltag hier in Japan.

P.S. Ja, Süßigkeiten und andere Lebensmittel sind hier tatsächlich genauso groß auf der Verpackung abgebildet, wie sie in Wirklichkeit auch sind – maßstabsgetreu, damit du genau weißt, was du kaufst.

2 Kommentare

  1. Rebecca

    Ich kann gar nicht genug von den tollen Bildern und Eindrücken bekommen <3 Mein Herz schlägt seit meinem ersten Besuch im letzten Jahr für dieses Land und auch wenn ich einige dieser Eindrücke bereits selbst erlebt habe, bin ich immer wieder beeindruckt.

    Anhand der Alltagshelfer ist mir übrigens aufgefallen, dass ich wohl zu oft auf asiatischen Verkaufsseiten bin. Die Teile für die Toilettenreinigung, Schuhreinigung, Fußreinigung … sind mir alle bekannt 😀 Ich dachte nur immer: wer kauft denn so einen Kappes und gleichzeitig wollte ich es haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert