Die dritte Woche meines wahrgewordenen Lebenstraums hat vor drei Tagen begonnen – heute ist schon Mittwoch. Falls du dich gefragt hast, wie mein Alltag hier nach so kurzer Zeit aussieht, erzähle ich es dir gerne.
Meist gehe ich zwischen 2 und 3 Uhr morgens ins Bett – ich bin eben immer schon eine Nachteule gewesen ✨ Gegen 7 oder 8 Uhr, manchmal aber auch erst gegen 9 Uhr, werde ich wach und starte in den Tag. Der strahlende Sonnenschein, der durch mein Fenster fällt, empfängt mich in meiner kleinen Wohnung, während ich noch leicht verschlafen den ersten Gedanken an meinen Tag fasse. Frühstück! Mein Kühlschrank? Der besteht eigentlich nur aus kaltem Kaffee und unzähligen Yakult-Flaschen. Ob das wirklich was bringt? Keine Ahnung. Aber geschadet hat es zumindest bisher nicht – und ich finde es einfach lecker. Aber Essen findet sich nur selten in meinem Kühlschrank, bisher gehe ich einfach in der Einkaufsstraße um die Ecke etwas essen oder verzehre mal wieder viel zu viele Onigiri aus dem Konbini 🍙 🍚 🍥


Ich bin ein Mensch der Routinen und Gewohnheiten. So beginnt mein Morgen immer damit, Musik einzuschalten, während ich meine Bettdecke draußen auf dem Balkon lüfte, eine Waschmaschine mit Wäsche fülle und die frisch gewaschenen Sachen nach dem Duschen 🚿 zum Trocknen aufhänge. Meistens sauge ich morgens einmal durch die Wohnung oder „rolle“ sie ab (was genau ich damit meine, erfährst du hier). Und dann geht’s auch schon los 🪣 🧽 Manchmal schaue ich mir vorher noch in Ruhe den Wetterbericht an, der mir – anders als in Deutschland – hier in Japan wirklich nützliche Informationen liefert. Etwa, zu welcher Stunde ich einen Schirm brauche (oder ob überhaupt), ob es sich lohnt, meine Wäsche zum Lüften oder Trocknen draußen aufzuhängen, und viele weitere hilfreiche Details.



Los geht’s
Ich streife meistens relativ ziellos durch die Gegend, lasse mich einfach treiben und von meiner Umgebung in ihren Bann ziehen. Meine Beine tragen mich dorthin, wo meine Augen etwas Schönes entdecken – sei es eine kleine Nebenstraße, ein Park, ein Fluss oder See. Manchmal ist es auch meine Nase, die einer wohlig warmen Duftnote folgt und mich nicht selten vor einer kleinen, süßen Bäckerei zum Stehen bringt. Zugegeben, als Raucher nehme ich natürlich jeden Raucherspot mit, den ich auf meinem Weg finden kann – aber die sind hier wirklich rar. In drei Wochen Japan habe ich gerade einmal zwei Schachteln Zigaretten geraucht. Normalerweise hält eine Schachtel bei mir nur zwei Tage. Doch angesichts der unzähligen Leckereien, denen man hier hinter jeder Ecke begegnet, fällt es erstaunlich leicht, auf eine Sucht zu verzichten – ganz ohne geht es aber (noch) nicht.
Wenn mich meine Nase dann nicht in eine Bäckerei oder gar eine Metzgerei 🌭 gelockt hat, um dort eine frische, warme Fleischspeise zum Frühstück zu verputzen, besuche ich meist einen Konbini und kaufe mir Onigiris. Ja, man kann sie auch frisch kaufen, aber ich habe bisher nur wenige Läden in meiner Stadt gefunden, die sie frisch zubereiten und verkaufen. Am Bahnhof gäbe es welche – sogar ganze Bento-Boxen –, aber mir ist der Weg dorthin oft zu weit, nur um eine Mahlzeit zu besorgen. Davon abgesehen esse ich ohnehin viel zu viele Onigiris 🍙 sicherlich werde ich mich bald in eines verwandeln.
Nach meiner kleinen Essensbesorgung zieht es mich oft zu einem Schrein in der Nähe meiner Wohnung. Manchmal lege ich auf dem Weg dorthin noch einen kurzen Stopp in der Sweet Alley ein, um mir einen Kaffee ☕️ zu holen, bevor es mich dann weiter in Richtung Schrein treibt. Dort gibt es ein kleines Holzhäuschen direkt vor dem Torii ⛩ des Hikawa-Schreins, in dem ich gerne verweile. Hier sitze ich, mümmle meine Onigiris und genieße die Atmosphäre. Auch jetzt – ja, genau jetzt – sitze ich hier, habe mein MacBook 💻 aufgeklappt und schreibe diese Zeilen. Dieser Ort entspannt mich, wie eigentlich fast alles hier. Obwohl der Schrein gut besucht ist und sich eine Hauptstraße um ihn herumzieht, kommen vielleicht nur ein Dutzend Autos in zehn Minuten vorbei. Ab und zu höre ich die Trommeln des Schreins – ein Klang, der unglaublich beruhigend ist.




Ich würde nicht sagen, dass dies mein absoluter Lieblingsplatz ist – das bleibt der Skytree –, aber ich liebe diesen Ort trotzdem sehr. Ebenso wie die kleine, unscheinbare Sitzbank, die nur ein paar Gehminuten entfernt direkt am Shingashi-River 🌊 steht. Das leise Plätschern des Wassers, die Sonne, die mich sanft wärmt, und die Ruhe dieses leicht zu übersehenden Fleckchens Erde sind einfach wunderschön – mitten in der Stadt und doch so friedlich.
In wenigen Wochen werden die Bäume, die den Fluss säumen, ihr Blätterkleid zurückhaben. Dann wird dieser Ort noch magischer sein. Der Shingashi-River 🌊 zumindest der Abschnitt, der sich durch Kawagoe zieht, ist von Kirschblütenbäumen 🌳 🎋 🌸 und wunderschönen, teils historischen Häusern im traditionellen japanischen Stil gesäumt. In der Ferne rahmen die Berge 🗻 🏔 das Bild ein – ein kleines Paradies. Für viele mag es nur ein Fluss sein, der durch eine Stadt fließt, aber ich sehe die Welt eben ein bisschen anders.
Jetzt habe ich so viel über diesen kleinen Ort am Fluss erzählt, dass ich mich genau dorthin auf den Weg machen werde. Ich werde also auf einem anderen Weg nach Hause gehen – dafür aber noch eine kleine Pause an diesem wundervollen Ort einlegen. Und wahrscheinlich wieder ein Tsuna-Mayo-Onigiri essen, das ich mir unterwegs in einem der unzähligen Konbinis kaufe. Vielleicht wird es aber auch eine meiner absoluten Lieblingseissorten, die ich so bisher nur in Japan gesehen habe – und Kondensmilch als Eis ist schon irgendwie ziemlich genial. Nachdem ich mir dann noch eine weitere halbe Stunde lang eine ordentliche Ladung Vitamin D direkt aus der Sonne gegönnt habe, mache ich mich langsam auf den Heimweg. Schließlich habe ich auch Pflichten – neben dem bloßen Existieren und Genießen.






Die Pflicht ruft
Zuhause angekommen, mache ich mich dann an die Arbeit – und damit meine ich nicht die Hausarbeit. Als Software-Entwickler verbringe ich den restlichen Abend bis tief in die Nacht online – gemeinsam mit meinen Kollegen am anderen Ende der Welt, in Deutschland 🌏


Gegen etwa 1 Uhr in der Nacht stille ich meine unstillbare Sucht: Natürlich gehe ich rauchen und suche dafür einen der raren Raucher-Spots auf. Manche werden bereits um 21 Uhr abgebaut, da sie sich mitten in Wohngebieten befinden. Das bedeutet für mich, dass ich ein ganzes Stück weiterlaufen muss – fast bis zum Bahnhof Kawagoe. Damit sich der Weg lohnt, schaue ich meist vorher noch bei Sukiya vorbei und bestelle mir eine Schüssel Gyudon 🥓 🍚 Ich bin mir nicht sicher, ob ich dieses rund um die Uhr geöffnete Restaurant wirklich mag oder nicht. Natürlich mag ich es – aber genau das ist das Problem: Es hat immer geöffnet. Und so lande ich viel zu oft hier, um mal eben schnell etwas zu essen.


Wenn mich dann weder die Kälte der Winternacht noch die Müdigkeit nach Hause zieht, gehe ich noch ein bisschen shoppen. Viele Geschäfte, vor allem Super- und Hypermärkte, haben rund um die Uhr geöffnet, und auch zahlreiche andere Läden schließen erst spät in der Nacht. Das Don Quijote, das man hier liebevoll einfach nur Donki nennt, hat bis 2 Uhr geöffnet – und hier bekommt man einfach alles, was man braucht… und nicht braucht. Von Lebensmitteln über Haushaltswaren bis hin zu Bekleidung, vorbei an Drogerie- und Elektroartikeln – auf drei Etagen kann ich mich durch das Sortiment stöbern, bis meine Kreditkarte ihren Dienst verweigert.
Was ist anders in Japan?
Also mal ganz davon abgesehen, dass hier einfach alles anders ist, lebe ich ein vollkommen neues Leben – eines, das einem gänzlich anderen Rhythmus folgt. Ich arbeite nicht mehr von früh morgens bis nachmittags und bin nicht schon am Morgen vom Berufsverkehr gestresst. Generell wirkt hier in Japan alles – oder zumindest auf mich – viel entspannter. Die einzige Hektik, die ich wahrnehme, sind ein paar Menschen, die versuchen, noch den bereits am Bahnhof stehenden Zug zu erwischen und die Treppe hinauf- oder hinunterhetzen. Doch selbst wenn das nicht gelingt und sich die Türen direkt vor ihrer Nase schließen, kommt in wenigen Minuten ohnehin der nächste Zug 🚃 🚅
Ich wache hier also ziemlich entspannt auf – und schlafe auch deutlich besser und ruhiger, wenn ich meiner Smartwatch glauben darf, die mich rund um die Uhr überwacht. Dadurch starte ich natürlich auch viel fitter in den Tag. Und mein Tag beginnt nicht mit einem grauen Alltagstrott, sondern mit Freizeit. Da ich ein Abend- bzw. Nachtmensch bin und genau dann meine kreativste und produktivste Phase habe, passt es für mich perfekt, meine Arbeit in diese Zeit zu verlegen und vorher einfach nur den Tag zu genießen – den Sonnenschein, mein Leben.
Dass ich hier so ziemlich alles, was das tägliche Leben erfordert, zu jeder Tages- und Nachtzeit erledigen kann, trägt natürlich dazu bei, dass ich im Grunde rund um die Uhr vollkommen entspannt bin. Also dann, gute Nacht – ich gehe jetzt erst mal zum Famima.
Im Prinzip arbeitest du ja jetzt in der Spätschicht 😉 Am späten Nachmittag anfangen und bis in die Nacht arbeiten. Ist natürlich wirklich entspannter, man kann vorher Dinge erledigen, in seinem Tempo wach werden und den Tag beginnen.
Für mich wäre das nichts. Ich bin eine Lerche, keine Nachtigall 😀