Stell dir vor, es gäbe eine Welt – nur wenige Stunden von dir entfernt –, in der reißende Flüsse deine Gedanken mitreißen, die Sonne dich sanft wärmt, während um dich herum das Wasser gefriert, und wohin du auch blickst, deine Augen sich an zahllosen Berghängen verlieren, üppig bewachsen mit langem, grünem Bambus.
Doch, doch – diese Welt gibt es wirklich – du musst nur nach Japan kommen, an der Mitake Station aussteigen, und schon hast du die Realität verlassen und bist in einer Zauberwelt angekommen.
Du glaubst mir nicht? Dann komm mit Evoli und mir auf eine unvergessliche Reise.
Warum Mitake?
Schon seit ein paar Tagen steht die Mitake Station auf meiner Liste der Orte, die ich unbedingt sehen möchte. Warum ausgerechnet eine Bahnstation? Das kann ich dir ehrlich gesagt nicht sagen. Ich habe mal wieder „Fliegender Adler“ auf meinem Smartphone und Yahoo Maps gespielt – und dort, wo mein Finger gelandet ist, lag eben die Mitake Station.
Weder kannte ich diesen Ort, noch lag er um die Ecke. Aber genau so finde ich meistens die schönsten Orte, denn ich betreibe kein Touristen-Hotspot-Hopping. Ich zoome einfach aus der Karte heraus, tippe irgendwo hin, und wenn mir die ersten drei bis fünf Bilder gefallen, dann fahre ich hin. Ganz egal, ob es 30 Minuten oder fünf Stunden entfernt ist, ob ich zwei oder zwanzig Kilometer laufen muss – ich muss es sehen und erleben.
Also habe ich mir Evoli geschnappt und mich ins Abenteuer gestürzt.
E-v-o-l-i…?
Ja, genau – das Pokémon Evoli. Ein kleiner Mensch, den ich sehr, sehr gerne habe, hat mir dieses Evoli vor meinem großen Abenteuer gegeben. „Hier, Evoli möchte mit nach Japan. Der wohnt jetzt bei dir.“ Mit diesen Worten wurde mir das Lieblings-Kuscheltier in die Hand gedrückt.
Nun… seitdem lebt Evoli bei mir und ist nur wenige Wochen später mit mir nach Japan geflogen – und begleitet mich nun auf meiner Reise.
Das Abenteuer beginnt
Die Reise begann früh am Morgen, als die Sonne langsam hinter den Häusern von Kawagoe aufstieg. Die Straßen der Stadt blieben zurück, während der Zug uns immer weiter hinaustrug – hinein in eine andere Welt. Evoli kuschelte sich tief in meine Umhängetasche, während draußen die Landschaft mit jedem Sonnenstrahl und jeder vorbeiziehenden Station wilder wurde. Die ersten Berge tauchten am Horizont auf, und für uns hieß es zunächst einmal umsteigen. Mit verschiedenen Zuglinien fuhren wir unserem Abenteuer entgegen. Bald schon schlängelte sich der Zug entlang eines Flusses, dessen Rauschen uns begleiten würde – als wäre es die Stimme des Ortes selbst.
Nach über zwei Stunden hielt der Zug schließlich an einem winzigen Bahnhof, der aus einer anderen Zeit zu stammen schien. Er war uralt, aus dunklem Holz gebaut, mit einem einzigen Gleis, das sich einsam durch das Tal zog. Eine flackernde Laterne über dem Wartehäuschen ließ ihn noch geheimnisvoller wirken. Als ich ausstieg, umfing mich sofort diese besondere Stille – keine bedrückende, sondern eine lebendige, durchzogen vom beständigen Murmeln des Flusses, dem Wispern des Windes in den Bäumen und dem entfernten Lachen der Menschen.





Und diese Menschen waren anders. Sie lachten, sie genossen die Natur, sie grüßten einander, als gehörten sie alle zu einer großen Familie. Ich hatte heute wohl 17.427 Mal こんにちは gesagt – und jedes einzelne Mal wurde es mit einem warmen Lächeln erwidert. Familien grillten am Fluss, Wanderer zogen an mir vorbei, Angler standen mit ihren Ruten am Wasser, während andere einfach im Gras lagen und den Himmel betrachteten. Es war eine Welt, in der sich niemand zu hetzen schien – eine Welt voller Leichtigkeit. Vor allem eine Welt die soweit entfernt von all den Regeln und Normen Japans zu existieren schien – jedoch ohne das der Respekt und die Höflichkeit verloren gingen,
Ich ließ mich treiben. Jeder Pfad, jede Abbiegung war wie eine Einladung in ein neues kleines Abenteuer. Egal, ob ich durch die engen Straßen der Stadt wanderte oder unten am Fluss entlangging – hinter jeder Kurve wartete etwas Wunderschönes.
Dann kam ich an einen schmalen Pfad, der mich hoch hinausführte, durch einen dichten Bambuswald. Der Boden war von alten Steinen gesäumt, mit Moos bewachsen, als hätte sich die Zeit hier längst zurückgezogen. Die Welt wurde still, die Geräusche der Menschen verstummten – und plötzlich stand ich ganz allein zwischen den hohen Bambusstämmen. Sie wiegten sich sanft im Wind, als flüsterten sie eine alte Geschichte. Es fühlte sich an wie eine Mischung aus einem Ghibli-Film und einem Zelda-Abenteuer.








Doch es war nicht nur die Landschaft, die mich in ihren Bann zog. Wohin mein Blick auch fiel, alte, traditionelle Machiya-Häuser schienen aus den Berghängen zu wachsen, als wären sie schon immer ein Teil der Natur gewesen. Kleine Tempel lugten aus den Wäldern hervor, als hätten sie sich in den Schatten der Bäume versteckt. Diese magische Welt – das ist Japan. Berge, Wiesen, Flüsse und Täler, zwischen ihnen diese historischen Häuser, erbaut aus dunklem Holz mit schmalen Fenstern, deren Papierwände das Licht weich streuten. Dazwischen fanden sich kleine Cafés, winzige Restaurants, in deren Eingängen dampfende Ramen-Schüsseln auf Holztischen standen.
Ich wollte alles auf einmal sehen. Meine Augen sprangen von einer Szenerie zur nächsten, von einem kleinen Teehaus mit leuchtenden roten Lampions hin zu einem unscheinbaren Laden, in dessen Auslage kunstvolle Wagashi, kleine japanische Süßigkeiten, bereitlagen. Und dann – fiel mein Blick auf eine kleine Bank direkt am Fluss.
Ich steuerte darauf zu. Auf dem Weg dorthin begegnete ich – mal wieder – einer alten Dame. Als würde Japan an jedem Tag für mich ein real gewordenes Ghibli-Abenteuer bereithalten, fegte sie mit einem Reisigbesen den schmalen Weg vor mir. Ihre Bewegungen waren langsam, bedacht, voller Ruhe, als würde sie nicht einfach nur kehren, sondern mit jeder sanften Bewegung etwas von der Geschichte dieses Ortes bewahren. Ich blieb kurz stehen, neigte leicht den Kopf. Sie erwiderte meinen Gruß, nickte still – und kehrte weiter. Ich setzte mich auf die Bank, zog mein Onigiri aus der Tasche und ließ meinen Blick mit dem Fluss abwärts treiben. Das Wasser glitzerte im goldenen Licht der Nachmittagssonne, und für einen Moment war die Welt einfach perfekt.












Nachdem mein Magen gefüllt war, machten Evoli und ich uns wieder auf den Weg. Diesmal gingen wir unten am Fluss entlang, über weiche Steine, teilweise sogar durch das trockene Flussbett, das noch nicht von der Strömung erobert war. Wir kamen an magischen Steinhaufen vorbei, die jemand achtsam gestapelt hatte – kleine Türme aus Hoffnung, wie Wünsche in die Landschaft gesetzt, wohl wissend, dass die nächste Flut sie wieder mit sich reißen würde. Es roch nach kaltem Flusswasser, nach feuchtem Moos und nach Freiheit.
Und so tauchten wir ein – in eine pure Welt aus sattem Grün. Wohin ich auch blickte, die Natur hatte alles umarmt. Moos kroch über alte Steine, Ranken wanden sich um uralte Brückenpfeiler, und über mir spannten sich die Äste der Bäume wie ein riesiger Baldachin. Das Zwitschern der Vögel vermischte sich mit dem leisen Murmeln des Wassers, während wir immer tiefer in diese verzauberte Landschaft vordrangen.
Es war, als hätte die Welt hier eine andere Farbe – ein satteres, leuchtenderes Grün, das mit jedem Schritt intensiver wurde. Meine Augen versuchten in der wundersamen Welt zu rasten, sie erblickten zwischen all dem Grün ein gelbes Schild mit roter Schrift: Achtung – Glatteis! Ich musste lachen. 14 Grad, die Sonne brannte mir die Haut vom Gesicht, und doch – ein paar Schritte weiter gefror die Welt. Überall glitzerten Eiszapfen, das Wasser, das langsam von den Felsen tropfte, war so kalt, dass meine Finger kribbelten. Und als ich meine Hand auf einen der Steine legte, war er eiskalt – doch das Moos darauf? Es war wundersam warm, fast lebendig.












„これは魔法だね“, fiel es aus meinem Mund… das ist Magie, Evoli.
Evoli schien das ebenso zu spüren, denn es sprang voller Freude auf einen Felsen und versteckte sich. Ich musste es erst einmal finden, bevor wir weiterziehen konnten.




Unsere Reise führte uns noch höher hinaus, über geheimnisvolle, uralte Pfade, die sich an den Berg schmiegten. Sie führten uns zu Brücken, die aussahen, als stammten sie aus einer vergessenen Zeit. Ihre Holzplanken knarrten unter unseren Schritten, und als eine besonders alte Brücke leicht wackelte, blieb ich einen Moment stehen. Der Blick nach unten zeigte den glitzernden Fluss, der sich durch das Tal schlängelte – wild, ungezähmt, wunderschön.


Dann begegnete uns ein kleiner Hase. In meiner Vorstellung hüpfte er vor uns her, als wolle er uns den Weg weisen. Ich folgte ihm neugierig – und entdeckte eine versteckte Treppe, halb überwachsen, als hätte sie niemand seit Jahren betreten. Sie führte zu einem alten Tempel, still, ehrfürchtig, fast vergessen inmitten der riesigen Berge. Wir traten ein, ließen den Moment auf uns wirken – eine kleine, geheime Welt, die nur darauf gewartet hatte, entdeckt zu werden.




Dann der Blick auf die Uhr. Der letzte Zug! Wir mussten uns beeilen. Zurück durch die geheimen Pfade, vorbei an den Brücken, hinab in die Straßen, wo das Licht langsam golden wurde. Der Bahnhof wartete bereits auf uns, still wie zuvor, als gehöre er nicht nur dieser, sondern vielen Zeiten an. Der Zug ratterte an, und als ich mich auf den Sitz fallen ließ, blickte ich hinaus in die Dunkelheit. Die Berge wurden zu Schatten, der Fluss war nur noch ein leises Murmeln.
Evoli schlief tief in meiner Tasche und ich wärmte mich mit den Gedanken an heißes Gyudon auf, dass ich mir gleich kaufen würde.
Heute waren wir in einer anderen Welt gewesen – aber sie war real.
Mitake – ein Ort voller Zauber. Ein Ort, an dem alles magisch war: die Berge, die Menschen, die atemberaubende Natur entlang des Flusses. Einfach alles.
Und natürlich habe ich weitere, eher seltene Stempel ergattert 🙂
Wow, ein kleines Paradies, in dem die Zeit stehen geblieben ist. Hoffentlich bist Du nicht nur durch eine unsichtbare magische Tür dorthin gelangt, die nur alle 100 Jahre auftaucht, denn genau so wirkt es.
Ich hoffe wirklich, diese „Tür“ ist immer geöffnet. Die Hälfte meines Lebens habe ich schon verwirkt *lach* 100 Jahre schaffe ich nicht aber an diesen Ort würde ich gerne noch einmal reisen. Wie an alle Orte, an denen ich bisher war. Vielleicht brauche ich noch ein zweites Leben.
Japan und du, ein ungleiches Paar, das sich gefunden hat. Du erlebst das, was vielen Touristen verborgen bleibt, weil sie in Japan oft nicht mehr als das „exotische Party-Girl“ sehen (ich weiß nicht warum, aber Japan ist für mich irgendwie weiblich ^^). Bei vielen bleibt dieser erste Eindruck haften. Du aber möchtest Japan wirklich kennenlernen. Japan ungeschminkt, Japan von „ihrer“ ruhigen Seite, Japan mit all „ihren“ Macken, du möchtest Teil „ihres“ Lebens sein.
Danke, dass du uns auf diese magische Reise mitnimmst.
Hihi – na dann hast du Japan-chan gerade erschaffen 🙂 Das stimmt, du kennst mich natürlich gut, wir waren schon zusammen hier in Japan und du weißt, ich liebe auch all die Attraktionen und natürlich die Touri-Hotspots aber dieses Abenteuer steht, wie du es schon geschrieben hast, in einem anderen Sternenbild. Ich möchte so viele Seiten und Aspekte kennenlernen und erleben, wie es nur irgendwie möglich ist.