Es gibt Momente im Leben, in denen man zurückblickt und sich fragt: War das wirklich nur eine Etappe, oder war es vielleicht doch schon ein kleines Zuhause? Genau dieses Gefühl hatte ich, als ich meine Koffer packte und mich auf den Weg von Kawagoe nach Hamura machte.
Kawagoe war für mich mehr als nur ein Wohnort. Es war eine Stadt, die mich mit offenen Armen empfangen hat, die mir mit ihren kleinen Gassen, traditionellen Gebäuden und warmherzigen Menschen schnell ans Herz gewachsen ist. Ich kannte jede Ecke, wusste, wo es die besten Ramen gab, hatte meine Lieblingscafés und liebte es, in den ruhigen Abendstunden durch die Straßen zu schlendern. Wenn ich nach einem langen Tag am Bahnhof von Kawagoe ankam, spürte ich dieses warme Gefühl von Heimat. Doch es kam der Tag, an dem ich weiterziehen musste.
Am Vorabend meines Abschieds hatte ich alles sorgfältig gepackt und die Wohnung geputzt. Ich wollte sie so verlassen, wie ich sie vorgefunden hatte: sauber, ordentlich und mit Respekt für den nächsten Bewohner und den Vermieter. Als kleines Dankeschön hinterließ ich eine Blume in der Wohnung. Schon am Eingang des Mehrfamilienhauses standen viele Pflanzen, sodass sie sich dort sicher gut einfügen würde.
Der Morgen des Abschieds war bittersüß. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge verließ ich meine Wohnung. Ich freute mich auf Hamura, auf das Neue und Unbekannte – und doch fiel mir der Abschied schwer. Kaum hatte ich die Tür hinter mir geschlossen, fiel mir ein roter Umschlag mit meinem Namen darauf vor die Füße. Verwundert hob ich ihn auf und betrachtete ihn für einige Sekunden. Schließlich steckte ich ihn ein und beschloss, ihn in Ruhe am Bahnhof zu öffnen.
Mit Sack und Pack machte ich mich auf den Weg dorthin, eine anstrengende, aber lohnende Entscheidung. Ein Taxi wäre zwar bequemer, aber nicht unbedingt nötig gewesen. Angekommen am Bahnhof suchte ich mir ein ruhiges, sonniges Plätzchen und zog den Brief aus meinem Mantel. Als ich ihn öffnete und die Worte meines Vermieters las, traten mir Tränen in die Augen. Eine persönliche Nachricht, und das sogar auf Deutsch! Neben zwei weiteren Zetteln lagen auch zwei Origami-Figuren im Umschlag. Ein Abschied, der in Wahrheit keiner war, sondern der Beginn einer Freundschaft mit einem wunderbaren Menschen. Diese Geste berührte mich tief. Der Respekt, die Höflichkeit und die Liebe, die ich in Japan erfahre, erreichen mein Herz immer wieder aufs Neue.
Ich bin froh, dass wir weiterhin in Kontakt bleiben, unsere Messengerdaten ausgetauscht haben und uns schon bald treffen wollen – eine Freundschaft beginnt. Herr Sato ist schon jetzt ein wertvoller Mensch in meinem Leben, und ich bin glücklich, ihn getroffen zu haben. Ich freue mich darauf, ihn in Zukunft richtig kennenzulernen.
Abfahrt!
Mit all diesen Emotionen im Herzen nahm ich den Zug nach Hamura. Nach einem weiteren Umstieg und eineinhalb Stunden Fahrt erreichte ich schließlich meinen neuen Wohnort. Schon der erste Eindruck war wunderbar! Der wolkenlose Himmel war – wie so oft – strahlend blau, und der Bahnhof von Hamura strahlte in einem sanften Rosa – meine Lieblingsfarbe! Ich schmunzelte, war das Schicksal? Vielleicht. Gut gelaunt nahm ich diesmal doch ein Taxi, das mich direkt zu meinem neuen Zuhause brachte. Die Fahrt war mit knapp zwei Kilometern zwar kurz, aber ich wollte unbedingt einmal in einem dieser schönen Autos mitfahren – einer „alten“ Toyota Crown Limousine, die hier häufig als Taxi genutzt wird.
Was muss, das muss
Für meinen zweiten Monat in Japan, hatte ich mir etwas ganz Besonderes gegönnt: Ein Haus.
Ja, ein ganzes Haus mit zwei Etagen, ausgestattet mit modernster Technik und allem, was das Herz begehrt – und auch vielem, was man eigentlich gar nicht braucht. Doch in dem Moment, als ich zum ersten Mal die Tür aufschloss und das Haus betrat, wusste ich: Ich liebe es! Ich erkundete jeden Raum, fuhr mit den Händen über die Materialien, nahm die Atmosphäre in mich auf – die Ruhe. Die Kombination aus diesen „japanweißen“ Wänden, die eher cremefarben sind, den hellen Holzleisten an den Decken, den schmalen Fenstern, die so anders waren als in meiner Wohnung in Deutschland, und dem traditionell japanischen Eingangsbereich – dem Genkan – ließ mich fühlen, als wäre ich in einer meiner Lieblingsserien auf Netflix gelandet.
Zwei Bäder, beide nach japanischer Tradition gestaltet, eine Toilette mit beheiztem Sitz und Fernbedienung, eine kleine Terrasse, die den ganzen Tag von der Sonne gewärmt wird – ich konnte kaum glauben, dass ich hier tatsächlich wohnen würde. Ja, es ist vollkommen übertrieben für eine einzelne Person, 100 Quadratmeter zu mieten. Aber es war mein Traum, und ich bereute es keine Sekunde. Jeden Morgen von der Sonne geweckt zu werden, die Treppe hinunterzugehen, mir verschlafen einen Kaffee zu kochen und ihn auf der sonnenerwärmten Terrasse zu genießen – das war einfach ein Stück Himmel auf Erden; während ganz Japan schon der Himmel auf Erden für mich ist.
Doch noch bevor ich mich so richtig in meinem neuen Zuhause einleben konnte, sollte ein weiteres berührendes Erlebnis meinen Tag prägen. Ich traf mich mit meiner neuen Vermieterin, um den Mietvertrag sowie einige andere Formulare zu unterzeichnen und eine Einführung in die Technik des Hauses zu erhalten. Geduldig erklärte sie mir jedes Detail – von der Home-Security-Anlage, mit der das Haus ausgestattet ist, bis hin zu den unzähligen Funktionen der High-Tech-Geräte und -Räume. Wir verstanden uns auf Anhieb blendend, lachten viel und unterhielten uns über alles Mögliche. Nach etwa einer halben Stunde verabschiedeten wir uns, und ich freute mich darauf, noch einmal durch alle Räume zu gehen, das Haus auf mich wirken zu lassen und später in der Nacht die Umgebung zu erkunden.
Überraschung
Doch kaum hatte ich mich eingerichtet, klingelte es plötzlich an der Tür. Irritiert lief ich die Treppe hinunter, wohl wissend, dass es nur meine Vermieterin sein konnte. Ich öffnete die Haustür – und da stand sie, diesmal mit einem kleinen Geschenk in den Händen.
„Schön, dass du hier bist“, sagte sie und reichte es mir mit einem warmen Lächeln. Ich war gerührt, wusste kaum, wie ich reagieren sollte, doch mein Lächeln sprach für sich. Sie erwiderte es und meinte: „So ein schönes Lachen in deinem Gesicht – das ist toll.“
Japan hat eine besondere Art, jemanden zu verabschieden und willkommen zu heißen. An nur einem einzigen Tag durfte ich zwei dieser unglaublichen Momente voller Freundlichkeit und Wärme erleben. Es war überwältigend und zugleich wunderschön. Japan ist ein Land, das mich jeden Tag aufs Neue berührt, mich erstaunt, mich glücklich macht. Ein Land, das mich lehrt, wie wertvoll kleine Momente sein können. Ein Land, das ich mit jedem Tag mehr liebe – und manchmal frage ich mich, wie das überhaupt noch möglich ist.
Nun heißt es: Ein Monat Hamura und ich. Und wer weiß? Vielleicht wird auch dieser Ort mehr als nur eine Etappe. Vielleicht wird auch er ein Zuhause…