Skytree – mein magischer Moment
Skytree – mein magischer Moment

Skytree – mein magischer Moment

Lesedauer 7 Minuten

Eigentlich wäre dieser Blogbeitrag nun hier zu Ende – es passiert nicht oft, dass mir die Worte fehlen – doch die letzten vierundzwanzig Stunden war es genau so. Mein Herz ist überwältigt von den leisen, unaufgeregten Ereignissen meines Lebens – und doch ist es gerade diese Stille, die mich tief berührt. Obwohl „eigentlich nichts Spannendes passiert ist“, habe ich in den letzten Stunden eine besondere Aufregung gespürt. Dabei könnte man meinen, es gäbe genug Gründe für Aufregung – schließlich lebe ich nun seit drei Monaten in Japan und bin vor zwei Tagen mitten ins Herz von Tōkyō gezogen, direkt in die Nähe meiner großen Liebe. Und doch fühlte sich dieser Moment fast noch intensiver an. Ein Schritt, den ich kaum in Worte fassen kann. Nur 900 Meter trennen mich nun von meiner großen Liebe, dem Tōkyō Skytree – einem Giganten aus Stahl und Glas, der bereits 2018 mein Herz erobert hat. Meine Faszination für ihn brennt ungebremst weiter, als wäre sie ein Stern, der sich nicht löschen lässt. Ich habe unzählige Abende damit verbracht, Menschen mit meiner Begeisterung für dieses Bauwerk in den Wahnsinn zu treiben. Und nun? Nun bin ich ihm näher als je zuvor.

Natürlich bin ich heute Nacht weit nach Mitternacht zu meiner großen Liebe gelaufen und habe sie im Dunkeln bestaunt. Wobei „Dunkelheit“ in Tōkyō ohnehin ein rares Gut ist – doch es gibt sie, diese versteckten, beinahe heiligen Orte, wo die Welt kurz innehält, wo sich das endlose Rauschen der Stadt in ein sanftes Flüstern verwandelt. Zugegeben, Tōkyō kannte ich bislang nur durch die Augen eines Touristen. Ich wandelte durch Asakusa, verlor mich in Akihabara, bestaunte die Wolkenkratzer aus der Ferne. Doch was sich in den verborgenen Adern dieser Stadt verbirgt – die stillen, geheimnisvollen Pfade, die verwinkelten Gassen, in denen sich das wahre Herz von Tōkyō verbirgt – sie lagen mir bis jetzt nicht offen.

Doch bevor ich dich mitnehme in diesen einen Moment, von dem ich immer spreche, wenn ich von Japan erzähle – muss ich noch etwas loswerden.

Meine neue Wohnung

Ein neues Zuhause? Nicht wirklich. Meist lobe ich jeden Quadratmillimeter Japans in den Himmel, doch heute gelingt es mir nicht. Meine neue Wohnung in Tōkyō ist nicht das, was ich mir erhofft hatte. Vielleicht muss ich mich nach zwei Monaten auf dem Land einfach wieder an das Stadtleben gewöhnen, aber so richtig wohl fühle ich mich hier, in dieser Wohnung, nicht. Es ist nicht so, dass die Wohnung schlecht wäre – sie ist ruhig, gut ausgestattet und ich kann problemlos schlafen. Aber das Gefühl von „Nach-Hause-Kommen“ bleibt aus. Dennoch – für den einen Monat, den ich hier sein werde bevor ich weiter durch Japan streife, kann ich damit leben. Und die Nähe zum Skytree macht vieles wett, wenn nicht sogar alles.

Noch ein Traum

Es mag vielleicht nach wenig klingen, für manch einen gar etwas ganz normales sein. Und doch war es für mich ein Meilenstein: Mein Nachmittag bei der Einwanderungsbehörde.

Manche Länder, darunter Deutschland, genießen in Japan Privilegien, die so viele Menschen niemals erfahren werden. Ein 90 Tage gültiges Visum beispielsweise, das ohne Antrag nach der Landung in Japan in den Reisepass gestempelt wird. Ebenso eine Verlängerung, die meist ohne Hindernisse gewährt wird. Menschen aus anderen Ländern müssen Monate im Voraus Anträge einreichen, Dokumente sammeln, sich regelrecht beweisen.

Gestern war ich es, der diesen Schritt gehen durfte. Trotz aller Zweifel und der vielen Geschichten über langwierige Verfahren und enttäuschte Hoffnungen verlief mein Weg anders. Vielleicht war es Glück, vielleicht die akribische Vorbereitung. Schon im letzten Jahr, noch bevor mein Abenteuer begann, hatte ich alle notwendigen Formulare besorgt, ausgedruckt und sorgfältig ausgefüllt. Diese Vorbereitung zahlte sich aus. Gestern legte ich der Mitarbeiterin der Einwanderungsbehörde meine Unterlagen vor – und nur 30 Minuten, einen Antrag und eine Steuermarke später war es geschafft. Mein Visum war verlängert, meine Reise noch nicht zu Ende.

Nun ist es gewiss – ein weiterer Traum wird Wirklichkeit. Ich darf meinen Geburtstag im Juli hier feiern, in meinem Traumland. Und wer könnte mir an diesem besonderen Tag bessere Gesellschaft leisten als der Skytree, der über Tōkyō wacht? Ein perfekter Ort, um diesen Meilenstein zu feiern.

Dieser eine Moment

Mit einem eiskalten Asahi-Bier bewaffnet machte ich mich in der Tiefe der Nacht auf den Weg zum Skytree. Suchte meinen Moment. Und dann war er plötzlich da – dieser eine Moment, von dem ich immer spreche, wenn ich andere mit meiner Liebe zu Japan in ihren Bann zu ziehen versuche.

Es ist schwer in Worte zu fassen – vielleicht existiert dieses Gefühl nur in mir, in genau dieser Form. Aber ich will es versuchen: Hier stehe ich also. Mitten in Japan. 100 Meter entfernt vom Tōkyō Skytree. Die riesigen, breiten Straßen, die tagsüber vor Leben vibrieren, wirken jetzt wie verlassene Boulevards. Das Tōkyō der Nacht ist ein anderes als das Tōkyō des Tages. Während die Menschenmassen tagsüber durch jede noch so kleine Straßenader strömen, ist es hier und jetzt ungewohnt still. Die modernen Wolkenkratzer ragen imposant in den Himmel, ihre Glasfassaden reflektieren das gedimmte Licht der Stadt. Die Luft ist erfüllt von den leichten Resten der vergangenen Stunden – einem Hauch von Ramen und Yakiniku, der noch immer schwach in den Gassen verweilt, als wäre er ein Echo des Tages. Die Hauseingänge sind kleine Kunstwerke für sich – überall liebevoll gestaltete Dekorationen, unzählige Blumen und Bäume in Töpfen verschiedenster Größe. Ein Gefühl von Geborgenheit strahlt von ihnen aus, ein Kontrast zur Gigantomanie der Stadt.

Und dort, mitten in dieser stillen Szene, steht er. Der Skytree. Sein Licht taucht die Umgebung in eine unwirkliche Atmosphäre, als würde er mich rufen. Ich bin nur ein winziger Punkt in dieser endlosen Stadt, aber in diesem Moment gehöre ich genau hierher. Ich atme tief ein, lasse den Augenblick auf mich wirken, spüre, wie mein Herz für diesen Ort schlägt. Wieder erlangt der Skytree meine Aufmerksamkeit, eine stille Schönheit die sich in den Äther erstreckt, als wolle sie mich erinnern – an meine Reise, an meine Träume – daran, wie klein ich bin, und doch, wie weit ich gekommen bin. Kaum eine Handvoll Menschen streift durch die Nacht. Die Luft ist mild, 15 Grad, ein sanfter Wind tanzt um mich herum, verfängt sich in meinem Pullover. Und dann spüre ich es: eine Träne, die langsam meine Wange hinabrollt. Und ja – es ist mir egal. Egal, dass ich bald 36 Jahre alt bin, alleine hier stehe und weine. Denn in diesem Moment bin ich einfach nur ich. Ich stehe an meinem Ziel. An dem Ort, den ich mir erträumt habe. Ein Traum, den ich allein verwirklicht habe.

Falls du dich jetzt fragst, wann denn endlich dieser Moment kommt, von dem ich die ganze Zeit schreibe – das war er 😉

Dieser Geruch Japans, der mir in die Nase steigt. Die unvorstellbare Stille einer riesigen Stadt. Das warme Licht der Straßenlaternen, das die liebevoll dekorierten Hauseingänge erhellt. Der Anblick der Wolkenkratzer. Das leise Rauschen der vorbeiziehenden Züge. Und ich stehe mittendrin. Ich sauge diesen Moment mit jeder Faser meines Seins auf. Keine bunten Lichter, keine lauten Töne. Nur ich. Und das leise Rauschen Tōkyōs.

Das leise Zischen der Bierdose durchbricht die Nacht. Ein winziger, fast unbedeutender Laut. Doch jetzt in diesem Moment? Das beste Bier meines Lebens. Ein Geschmack nach Freiheit, nach Erreichtem, nach dem Wissen, dass dies nicht das Ende ist, sondern erst der Anfang. Ich schließe die Augen, nehme einen tiefen Schluck und lächle. Mein Herz rast, nicht vor Angst, sondern vor Vorfreude. Auf das, was noch kommt. Auf die Wege, die ich noch gehen werde. Mein Traum ist nicht zu Ende. Er hat gerade erst begonnen.

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