Das war wirklich eine aufregende Reise! Auch wenn ich einen Teil der Strecke schon mehrmals geflogen und gefahren bin, war es diesmal ganz alleine doch noch einmal etwas ganz anderes. Ich war so müde wie schon lange nicht mehr in meinem Leben. Die Tage vor dem Abflug war ich so aufgeregt, dass an Schlafen nicht zu denken war. Obendrauf kamen dann noch 14 Stunden Flug sowie 2,5 Stunden mit verschiedenen Zuglinien und Bussen, bis ich endlich an meinem Ziel angekommen war.
Wie sollte es anders sein: Wenn man so aufgeregt ist, setzen die Kopfschmerzen schon nach kurzer Zeit im Flugzeug ein. Zwei Bufferin-Wundertabletten später waren die Schmerzen zwar noch immer da, aber deutlich erträglicher. Zum Ende hin zogen sich die schier endlosen Stunden im Flugzeug in die Länge und schienen nicht enden zu wollen. Doch zu meinem Glück konnte ich mich so richtig schön ausstrecken, denn ich hatte die gesamte mittlere Sitzreihe – bestehend aus drei Sitzplätzen – für mich alleine. Der Flug war nicht sonderlich ausgebucht, und so war die Boeing 787-9 Dreamliner fast menschenleer.
14 Stunden später – Landung in Haneda
Endlich! 20 Minuten früher als geplant landete das Flugzeug der ANA mit einer traumhaft sanften Landung am International Airport Haneda. Nach nur 15 Minuten hatte ich bereits die Sicherheits- und Zollkontrolle passiert und meinen Koffer in der Hand. Ich weiß nicht, wie das geht – aber es geht! Natürlich leerte ich als Erstes einen Getränkeautomaten und kippte mir alles in den Schlund, was ich all die Monate sehnsüchtig erwartet hatte. Gestärkt, aber immer noch von Kopfschmerzen geplagt, schlenderte ich gemütlich Richtung Monorail-Bahnhof.
Die Bahn stand schon bereit, und so fuhr ich die wenigen Stationen bis zum Bahnhof Hamamatsuchō. Von dort aus ging es mit der allseits bekannten Yamanote-Line weiter bis nach Ikebukuro. Dort stieg ich ein letztes Mal um – in den Kawagoeshi Limited Express der Tōbu-Line, der mich in nur knapp 40 Minuten an mein Ziel brachte. Wie schon vor einigen Monaten fühlte sich die Fahrt nach Kawagoe wie eine kleine Zeitreise an. Das Zugabteil hatte statt der üblichen Bildschirme, die einen mit Werbung bei Laune halten und die Fahrtstrecke anzeigen, lediglich aus einzelnen LEDs bestehende Textanzeigen. Alles wirkte ein wenig angestaubt, aber nicht verstaubt – ein bisschen retromodern. Ich liebe das einfach.
Der Bahnhof Kawagoe wirkt irgendwie klein und niedlich – dabei ist er gar nicht so klein. Auch das Licht und die Straßen erscheinen mir im Vergleich zum Zentrum Tōkyōs irgendwie weicher und sanfter. Hier ist alles ein bisschen ruhiger, liebevoller, weicher. Die Welt, die meine Augen in Kawagoe wahrnehmen, ist wie ein lebendiges Pastellbild – wunderschön und zart.
Mein Grundbedürfnis
Gewisse Dinge ändern sich in meinem Inneren, sobald mein Körper bemerkt, dass er japanischen Boden unter seinen Füßen hat. Statt nach Kaffee verlangt es mich plötzlich beinahe stündlich nach grünem Tee von Itoen und GunGunGurt – eines meiner absoluten Lieblingsgetränke. Auch migräneartiger Kopfschmerz, ein acht Kilogramm schwerer Rucksack und mein 23 Kilogramm schwerer Koffer können diesem innersten Grundbedürfnis nichts entgegensetzen. Also stürzte ich mich in den ersten FamilyMart, den ich erblicken konnte – was nicht wirklich schwer war, denn egal in welche Richtung man blickt, man wird einen finden. Ich plünderte die Sandwiches und Getränke und machte mich auf den Weg zur Kasse.
Ankunft und Fall
Gegen Mittag schloss ich dann endlich meine Wohnung in Kawagoe auf und fiel direkt ins Bett. Ich packte nichts aus und schaute mich nicht einmal richtig um. Mein gesamter Körper signalisierte mir mittlerweile mit einem fieberähnlichen Zustand, dass es langsam reicht und es jetzt an der Zeit ist, Kraft zu tanken. Zwischen dem Moment, in dem ich mich zudeckte, und dem Zustand des Tiefschlafs lagen nur wenige Sekunden. Die zuvor gekauften Sandwiches passten noch dazwischen – aber dann gingen bei mir endlich die Lichter aus, und ich fiel in den dringend nötigen Schlaf.
Ein paar Stunden später – es war bereits 17 Uhr – wachte ich wieder auf und glaubte noch zu träumen. Mein Zimmer sah so japanisch aus! Benommen stolperte ich aus dem Bett und öffnete die Haustür. Wieder erblickten meine Augen Japan.
Ich träumte nicht mehr – ich war wirklich am Ziel und hatte bereits meine ersten Stunden in der neuen Heimat geschlafen.
Nun packte mich aber die Neugier. Ich machte mich ein wenig frisch, zog mir etwas Neues an und brach auf, um die Stadt um meine Wohnung herum zu erkunden. Ich wohne direkt neben einem Schrein, und morgen ist ein Feiertag – nämlich Seijin no Hi (成人の日), das Fest der Erwachsenen. Dabei geht es um diejenigen, die kürzlich volljährig geworden sind. Seijin no Hi ist ein gesetzlicher Feiertag in Japan, und immer am zweiten Montag im neuen Jahr werden die neuen Volljährigen gefeiert. Ich denke, durch meine Nähe zum Schrein werde ich das schon mitbekommen – selbst wenn ich noch selig im Bett liege.