Schon lange blühte in mir der Wunsch, Enoshima zu bereisen. Bereits bei meiner letzten Reise nach Japan hatte ich darüber nachgedacht, doch ein Besuch musste noch warten. Dieses Mal aber war es endlich soweit. Während ich mich sowieso auf einer Weltreise befand, gönnte ich mir einfach noch eine kleine „Weltreise im Kleinen“. Denn von meinem Wohnort in Kawagoe bis zur Zauberinsel brauchte ich, mit einer Kombination aus Zügen und Bussen, gute 3,5 Stunden. Da ich die Insel für mich allein haben wollte, und ich meine wirklich für mich alleine, stand ich schon um 3 Uhr morgens auf.
Ich machte alles, was man so früh am Morgen eben macht: Ich wischte meine Wohnung, ging duschen und kaufte mir gegen halb 4 Uhr Morgens in einem Supermarkt mein Frühstück ein. Nach einem gemütlichen Essen eilte ich durch die kühle Nachtluft zum Bahnhof Kawagoe, um den ersten Zug nach Ikebukuro um 4:50 Uhr zu erwischen. Die Geschäfte und auch der Bahnhof waren bei meiner Ankunft noch geschlossen. Erst gegen 4:40 Uhr flackerte im Rolltreppengang hinter den Ticketschranken ein Licht an der Wand entlang. Ein Station Officer, gekleidet in der traditionellen Eisenbahn-Uniform mit passender Mütze und einer etwas angestaubten, silbernen Lampe, die wie aus dem frühen Bergbau wirkte, stieg die Rolltreppe empor und prüfte scheinbar gewissenhaft, ob alles in Ordnung war.






Vor wenigen Minuten war ich noch die einzige Seele im Bahnhof und stand vor verschlossenen Schranken, doch plötzlich füllte sich das Foyer mit Menschen. Es piepste aus allen Ecken, Rolltore öffneten sich wie von Zauberhand und gaben die bunt blinkenden Ticket-Automaten dahinter frei. Das Deckenlicht schaltete sich grell ein, und die Rolltreppen begannen träge zu laufen. Nur wenige Augenblicke später saß ich bereits im ersten von drei Zügen, die mich nach Fujisawa bringen sollten. Von Kawagoe nach Ikebukuro, von dort weiter nach Tōkyō und schließlich nach Fujisawa. Ab da ging es mit dem Bus direkt nach Enoshima weiter – wo einen nur noch die eigenen Beine oder das nötige Kleingeld für die Rolltreppen voranbringen. Doch da, wo ich hin wollte, führen keine Rolltreppen hin.






Unzählige, ja hunderte Treppen warteten auf mich – aber der Weg lohnte sich. Der Fuji-san mit seiner schneebedeckten Spitze, die goldgelben, warmen Sonnenstrahlen, die sich über das glitzernde Meer schoben und schließlich meine Wangen wärmten, erweckten die vielen Schreine auf Enoshima langsam zum Leben. Das kristallklare, türkisfarbene Meer schäumte mit aller Kraft gegen die Felsen, die die Insel umgeben. Und während mein Blick dem Schaum folgte und zurück ins unendliche Meer wanderte, erblickte ich sie: die Seekerze.






Meine Turmliebe
Gut, dass ich eine Vorliebe für Türme habe, dürfte bereits klar sein. Die Seekerze (江の島展望灯台) ist ebenfalls ein Turm – na gut, eher ein Türmchen. Etwa in der Mitte von Enoshima, auf dem höchsten Punkt der Insel, ragt die Seekerze weitere 59,8 Meter empor und bietet einen atemberaubenden Rundumblick. Berücksichtigt man die Höhe der Insel, befindet sich die Aussichtsplattform des Turms auf 106,6 Metern. Die Gesamthöhe der Seekerze inklusive der Insel beträgt 119,6 Meter.
Enoshima bietet jedoch nicht nur eine zauberhafte Aussicht auf das Meer und die Küste der Präfektur Kanagawa, sondern entführt dich auch auf eine kleine Zeitreise, zurück in eine märchenhafte Welt des alten Japans. Du wirst die Ruhe sofort spüren, wenn du die Insel betrittst. Beim Schlendern vorbei an uralten Häusern begleiten dich die Gesänge der Vögel, fast das einzige Geräusch neben den tosenden Wellen, die gegen die Küste schlagen und in deine Ohren kriechen. Die ersten warmen Sonnenstrahlen glitzern über das endlose Meer und wärmen dein Herz, während hier und da eine streunende Katze vorbeihuscht oder sich mit dir zusammen in der Sonne ausruht. Bis das Leben langsam auf der Insel erwacht und sich die ersten Touristen hierher verirren, ist es wirklich, als wäre man in einer anderen Welt – wie in einem Traum an einem Ort, der gar nicht wirklich existieren kann.
Auf meinem Weg zur Seekerze kam ich an dutzenden Torii und Schreinen vorbei, eines schöner als das andere, jeder Schrein größer und beeindruckender als der vorherige. Manche Teile der Insel sind von so dichter Vegetation umgeben, dass es an manchen Schreinen fast wie Nacht wirkt; kaum ein Sonnenstrahl dringt bis dorthin durch, und jeder Moment fühlt sich magischer an. Plötzlich traf mein Blick auf einen Drachen, der mich direkt anzusehen schien. Doch es war kein Kampf. Ich grüßte den Drachen Gozuryu, umrundete sein Anwesen und zog weiter Richtung der Iwaya-Höhlen, die sich auf der rechten Rückseite der Insel befinden – wenn man Enoshima über die Enoshima-ohashi-Brücke erreicht.
Der Zauber der Insel
Nicht, dass all das mich nicht schon längst verzaubert hätte – ich hatte Enoshima von der ersten Sekunde an in mein Herz geschlossen. Doch am Abend wartete die Insel mit einem letzten Zauber auf mich, der mein Herz für immer an diesen Ort binden sollte. Kurz nach 16 Uhr begann die Sonne, sich langsam hinter dem Horizont zu verstecken, und tauchte den Fuji-san in ein gelb-goldbraun-orangfarbenes Licht – ja, besser oder schlechter kann ich es nicht beschreiben. Wenn ich das Bild des Vulkans mit etwas vergleichen müsste, dann würde ich sagen: Japanese Caramel Pudding 😁
Ich saß auf der Sunset Terrace, direkt unter der Seekerze, und genoss einen Kaffee sowie die herrliche Aussicht auf den Sonnenuntergang und den „Karamell-Pudding“. Doch plötzlich durchbrach eine Stimme die Stille des Abends und zählte laut herunter. Dann, endlich, passierte es: Die Magie begann, und sie zauberte jedem ein Lächeln ins Gesicht. Aus offenstehenden Mündern floh ein „Wow!“ ins Freie.
Nicht nur die Seekerze erstrahlte plötzlich in den schönsten Pastellfarben, beleuchtet von unzähligen Lichtern, sondern auch die halbe Insel schien unter einem Meer aus Milliarden von Lichtern zu verschwinden. Begleitet von sanfter Musik, die sich in jeden Winkel auszubreiten schien, wurde dieser Moment zu etwas, das Worte kaum beschreiben können. Natürlich könnte man sagen: Es sind doch nur Lichterketten und Strahler. Ja, das mag stimmen. Aber der Zauber, der in diesem Moment über der Insel liegt, lässt sich nur fühlen, wenn man selbst dort ist und der Augenblick dein Herz öffnet.
Der Eintritt nach 17:30 Uhr, der sowohl den Zugang zum Tower als auch zum „Garten“ beinhaltet, kostet gerade einmal 800 Yen. Bis zum 28. Februar 2025, kann das Licht und Farben Festival noch besucht werden.






Ich habe versucht, ein wenig von diesem Zauberlicht einzufange, um es dir zu zeigen.
Deine Bilder und Beschreibungen machen mich völlig verliebt in Japan
Hallo Lilli, das kann ich nur zu gut verstehen. Komm nach Japan und lass dich selbst verzaubern 🙂
Wunderschön deine Bilder….
Dankeschön 🙂 das freut mich sehr